Polen

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„Keine einzige mehr!“ - Massenproteste gegen Schwangerschaftsabbruchs-Verbot der faschistoiden Regierung

In 78 Städten Polens gingen Menschen am Samstag, den 6. November, auf die Straße, um anlässlich des Todes von Izabela zu protestieren, die mit 30 Jahren ein Opfer des faktisch vollständigen Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen in Polen geworden ist.

Von gof
„Keine einzige mehr!“ - Massenproteste gegen Schwangerschaftsabbruchs-Verbot der faschistoiden Regierung
Wie hier 2016 beim Protest gegen die Verschärfung des Gesetzes in Łódź sind auch jetzt wieder Massen auf den Straßen (foto: Zorro 2212 (CC VY-SA 4.0))

Alleine in Warschau demonstrierten mehr als 30.000 Menschen gegen die klerikal–faschistoide, frauen- und menschenfeindliche Politik der von der PiS–Partei geführten polnischen Regierung, die im polnischen Parlament die absolute Mehrheit hat. PiS heißt „Prawo i Sprawiedliwosc“, übersetzt „Recht und Gerechtigkeit“, ein „Versprechen“, das alle erzreaktionären, faschistoiden oder faschistischen Regime machen, vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump über Viktor Orbán in Ungarn bis hin zu Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei.

 

Die katholische Kirche hat großen Einfluss in Polen, so auch in der PiS-Partei unter ihrem Vorsitzenden Jaroslav Kaczynski und auch in anderen Parteien. Das polnische Recht zu Schwangerschaftsabbrüchen galt als eines der schärfsten in Europa. Schwangerschaftsabbrüche waren danach nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren bedroht war, der Fötus schwer krank oder geschädigt war und wenn das Kind durch Vergewaltigung oder Inzest gezeugt wurde. Am 23. September 2016 stimmte eine Mehrheit im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments, für einen Gesetzentwurf, der Schwangerschaftsabbrüche nur noch bei Lebensgefahr für die Schwangeren erlaubt hätte. Anfang Oktober 2016 demonstrierten Hunderttausende gegen dieses faktische Verbot von Schwangerschaftabbrüchen.

 

Es war die erste große Niederlage der damals allein regierenden PiS-Partei. Die zunehmende Unterhöhlung der in bürgerlichen Demokratien üblichen Gewaltenteilung ermöglichte die Durchsetzung dieses Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Hintertür. 2018 wurde das polnische Justizsystem „reformiert“, die sogenannte „Unabhängigkeit“ der Justiz gegenüber der Regierungsgewalt quasi abgeschafft. Staatsanwälte wurden dem Justizministerium unterstellt, die Richterposten des polnischen Obersten Gerichts mit parteinahen Richtern besetzt.

 

Das machte den Weg dafür frei, die Rechte der Frauen in Polen weiter zu beschneiden und ihre besondere Unterdrückung zu verschärfen. Am 22.Oktober 2020 erklärte das polnische Verfassungsgericht eine bis dahin noch gültige Ausnahmeregelung vom Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen für Unrecht. Mehr als hundert Abgeordnete der Regierungspartei PiS hatten sich deshalb an das Verfassungsgericht gewandt. Bei schweren Fehlbildungen des ungeborenen Kindes konnten die polnische Frauen bisher abtreiben. Das wurde nun höchstrichterlich untersagt, weil damit das Verfassungsgebot vom „Recht auf Leben“ verletzt würde.¹

„Ich fühle mich als Brutmaschine"

Die 30-jährige Izabela, verheiratet und Mutter einer neunjährigen Tochter, musste sterben, weil es die Ärzte im Krankenhaus im südpolnischen Pszczyna offenbar aufgrund der neuen Gesetzeslage nicht wagten, rechtzeitig einen lebensrettenden Eingriff vorzunehmen. Izabela hatte sich entschieden, den Fötus trotz Trisomie 21 (Down-Syndrom) und seiner körperlichen Schäden weiter auszutragen. Als das Fruchtwasser brach, musste sie am 21.September in die Klinik. Für die junge Frau begann ein Martyrium.

 

Sie selbst schrieb noch per Handy an ihre Mutter: „Das Baby wiegt 485 Gramm. Im Moment kann ich wegen des Abtreibungsgesetzes nur liegen. Es gibt nichts, was sie tun können. Sie werden warten, bis es stirbt oder etwas anfängt. Wenn nicht, kann ich Sepsis erwarten" - eine Blutvergiftung. Einer anderen Nachricht an ihre Mutter zufolge sah sich Izabela als "Inkubator" betrachtet, als Brutmaschine.“ Einen Tag später alarmierten die Mitpatientinnen die Ärzte. Izabela hatte bereits 39,9 Grad Celsius Fieber. Als sich die Ärzte endlich zum Eingriff durchrangen, starb Izabela auf dem Weg in den OP-Saal.²

Regierung in der Defensive

Obwohl die Zusammenhänge offensichtlich sind, äußerte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, dass die genauen Abläufe noch untersucht werden müssten. Polen sei ein Rechtsstaat.³ Die Regierung ließ verlauten, Izabelas Tod habe nichts mit dem neuen Gesetz zu tun.⁴ Feige wird die Schuld auf die behandelnden Ärzte geschoben. Natürlich müssen diese für ihre Untätigkeit bestraft werden. Als Ärzte haben sie sich disqualifiziert. Aber die Hauptschuldigen sitzen woanders. Es war mutig und richtig, dass sich Izabelas Eltern Ende Oktober entschlossen, über ihre Anwältin Jolanta Budzowska und im Fernsehsender TVN24 an die Öffentlichkeit zu gehen.²

Widerstand gegen PiS-Regierung formiert sich neu

Bereits mit den ersten Regierungsjahren der PiS ab 2005 formierte sich der Widerstand gegen deren erzreaktionäre Politik, der sich ab 2015 / 2016 noch verstärkte. Eine tragende Säule war dabei die polnische Frauenbewegung, unterstützt von vielen Männern, im Kampf gegen das verschärfte Abtreibungsrecht.

 

Auch die Kontrolle der Medien und der Justiz durch die Regierung oder deren Haltung in der Europapolitik rief viele Menschen auf die Straßen. „Nicht eine einzige mehr“, riefen Frauen und Männer bei ihren Protestzügen am Wochenende und erinnerten mit einer „Minute des Schreiens“ an die Verstorbene.⁴ Im zunehmend autoritär geführten Polen versucht die Regierung, auch nach ihrem eigenen Selbstverständnis stramm antikommunistisch, nationalistisch und erzkatholisch ausgerichtet, eine reaktionäre, religiös-patriarchalische Weltanschauung verstärkt hoffähig zu machen, die die Frauen zurück an „Kinder, Küche, Kirche“ verweist und ihnen alleine die Verantwortung für die private Haushalts- und Familienführung zuweist. Ohne Rücksicht auf Verluste: „Marek Suski, Vize-Fraktionschef der Regierungspartei PiS, kommentierte: ‚Menschen sterben. Das ist eine biologische Tatsache. Leider kommen medizinische Irrtümer vor … manchmal sterben Frauen bei der Geburt ... es hat nichts mit irgendeiner Gerichtsentscheidung zu tun.‘“²

 

Der „Tag gegen Gewalt an Frauen“ am 25. November ist der richtige Anlass, gemeinsam in Deutschland und weltweit für die Befreiung der Frau von besonderer Ausbeutung und Unterdrückung einzutreten und dabei auch die Solidarität mit dem Kampf der polnischen Frauen und Männer gegen ihre erzreaktionäre, frauenfeindliche Regierung zu entwickeln.

 

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