Retrospektive zum 100. Geburtstag des Malers Willi Sitte

Retrospektive zum 100. Geburtstag des Malers Willi Sitte

Der „Staatsmaler der DDR“?

Willi Sitte der „Staatsmaler der DDR“? Mit diesem antikommunistischen Kampfbegriff werden heute noch viele auch gute Künstler diffamiert. Wer für den Sozialismus ist, kann wohl gar kein guter Künstler sein.¹

Von cw / js
Der „Staatsmaler der DDR“?
Willi Sitte: Chemiearbeiter am Schaltpult (1968) (foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt)

Der Maler und spätere Kulturpolitiker Willi Sitte (1921–2013) gehört zu den national wie international bekannten Kunstschaffenden der DDR. Spätestens bei der großen Ausstellung „Zeitvergleich: Malerei und Grafik aus der DDR“ 1982/83, die in sechs Großstädten der BRD zu sehen war, wurde auch Sitte einem breiteren Publikum im Westen vorgestellt. Es waren insbesondere seine Arbeiter-Bilder, die dem Westpublikum auffielen. Der „Chemiearbeiter am Schaltpult“ von 1968 ist eines seiner besten Bilder.

 

Voller Konzentration arbeitet er an seinem Schaltpult. Er strahlt Sicherheit aus und wirkt doch angespannt, muss er doch auf die kleinsten Veränderungen im Prozess achten. Er ist Teil des Prozesses und beherrscht ihn zugleich. Sitte schildert die automatischen Anlagen, im Hintergrund ist das Panorama des Chemiekombinats zu erkennen.

 

Seit 1956 bildete sich in der DDR ein bürokratischer Staatskapitalismus mit allen dekadenten Erscheinungen dieses Systems heraus. Um das vor der großen Masse der Menschen und auch der Parteimitglieder der SED zu vertuschen, wurde eine Reihe von Errungenschaften und auch kulturellen Gewohnheiten der ersten Phase der DDR beibehalten. Die dargestellten Menschen erscheinen selbstbewusst und werden gerne als Herren der Produktion gezeigt - wie der „Chemiearbeiter am Schaltpult“.

 

Zehn Jahre später wird bei Sitte die Tendenz, die Arbeiterklasse nicht mehr denkend und lenkend, sondern nur noch leidend zu zeigen, immer deutlicher. Die Arbeiter werden dargestellt, als ob sie ihr Schicksal hingenommen hätten. Und tatsächlich hatten sie immer weniger zu sagen² - vor allem aber vertiefte sich die Kluft zwischen bürokratisch-kapitalistischer Wirklichkeit und den sozialistischen Phrasen der revisionistischen Führung.

 

Zu dieser gehörte dann auch Willi Sitte. Er war von 1974 bis 1988 Präsident des Verbandes Bildender Künstler, seit 1976 Abgeordneter der Volkskammer der DDR und von 1986 bis 1989 Mitglied des ZK der SED. „Am Ende kam dabei eine Menge staatsideologischer Kitsch heraus, zu dem auch Sitte einiges beitrug, “ schreibt R. Julke³ in seiner Ausstellungsbesprechung zur Retrospektive zum 100. Geburtstag des Malers Willi Sitte, die vom 3. Oktober 2021 bis 9. Januar 2022 im Kunstmuseum Moritzburg / Halle zu sehen ist.

 

Was er unter “staatsideologischer Kitsch“ versteht, erklärt der Schreiber nicht. Aber mit dieser Begriffssetzung suggeriert er, dass es – anders als in der DDR - in der BRD eine „ideologiefreie“ Kunst und Kultur gäbe. Damit bringt er eine zentrale, antikommunistische Lebenslüge der herrschenden bürgerlichen Ideologie in Deutschland auf den Punkt: Die bürgerliche Weltanschauung wird als allgemeingültig erklärt, kapitalistische Ausbeutung als „unideologisch“ gerechtfertigt und im Kern wird der wissenschaftliche Sozialismus stigmatisiert.

 

Sehenswert bleiben aber in der Ausstellung Sittes frühe Historienbilder, in denen er auf wichtige gesamtgesellschaftliche Themen eingeht. Sitte war lange Zeit auf der Suche nach einem eigenen Malstil. Trotz guten Inhalten - wie die große Solidarität der Menschen bei Flutkatastrophen - wurde er damals kritisiert, er würde sich an die westlich dekadente Kunst anlehnen.

 

Alles in allem: Die Ausstellung lohnt sich.