Reportage

Schreckgespenst für den Antikommunismus

150 Jahre Pariser Kommune

„Am Morgen des 18. März 1871 wurde Paris geweckt, durch den Donnerruf: ‚Es lebe die Kommune!‘“

Von Anna Bartholomé
150 Jahre Pariser Kommune
Bild: gemeinfrei

Begeistert schildert Karl Marx in seinem berühmten Werk „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ 1 den Auftakt der Pariser Kommune, vor heute fast 150 Jahren. Dieses Fanal der ersten Machtergreifung der Arbeiterklasse schreckte die ganzen damaligen adligen und bürgerlichen Oberschichten auf. Der „Pöbel von Paris“, wie sie die Freiheitskämpfer nannten, erdreistete sich, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen und den Traum von einem menschenwürdigen Leben wahrzumachen. Nur 72 Tage konnte sich die Pariser Kommune halten, bevor sie im Blut erstickt wurde. Aber sie setzte Meilensteine. Sie beweisen in der heutigen krisengeschüttelten Welt, dass es möglich ist, den Traum von einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung Wirklichkeit werden zu lassen. Dafür sind ihre Lehren von großer Bedeutung. Diese müssen im Kampf gegen den Antikommunismus, für den sie bis heute ein Schreckgespenst sind, in die Arbeiterbewegung eingehen.

150 Jahre Pariser Kommune

Die 72 Tage der Kommune waren Tage bis dahin nicht gekannter sozialer und politischer Rechte für die werktätigen Menschen.

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Rote Fahne Magazin

Friedrich Engels und die Pariser Kommune

Frankreichs Armee hatte im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 vor den deutschen, von Preußen geführten, Truppen kapituliert. Die Sieger annektierten Elsass-Lothringen und forderten Unsummen an Reparationen. Sie belagerten die Hauptstadt Paris, um die Bevölkerung auszuhungern, wagten aber auch nicht, in die Stadt einzudringen. Aber die Massen und insbesondere die Arbeiterinnen und Arbeiter waren nicht bereit, sich zu unterwerfen. Unter dem Druck der Massen wurde im September 1870 das Kaisertum abgeschafft und eine republikanische Regierung gewählt. Aber diese erwies sich als zutiefst korrupt. Sie stand unter der Führung von Adolphe Thiers, der sich schon zuvor in verschiedenen Regierungsämtern vor allem durch seine „Gier nach Reichtum“ 2 hervorgetan hatte. Die Regierung betrieb die Kollaboration mit dem „Erzfeind“, dem preußischen Ministerpräsidenten und späteren Reichskanzler Otto von Bismarck. Gemeinsam sorgten sie dafür, dass die Reste der französischen Regierungstruppen die Waffen niederlegten. Auch Paris wollten sie zur Kapitulation zwingen.

 

Aber dort gab es außer den Regierungstruppen die Nationalgarde, die zur Verteidigung von Paris gebildet worden war. Sie wählte ihre Führungen selbst und ihr schlossen sich immer mehr bewaffnete Arbeiter an.

 

Es entwickelte sich eine revolutionäre Situation mit verstärkter Aktivität und Organisierung der Bevölkerung: Republikanische Komitees bildeten sich in jedem Stadtteil. Sie nahmen zunehmend revolutionären Charakter an. Zahlreiche Zeitungen, Plakate, Flugblätter und Proklamationen zirkulierten. Schon am 31. Oktober 1870 gab es einen Versuch der Machtergreifung durch die Nationalgarde, der aber fehlschlug. Am 7. Januar rief sie dann erneut die „Commune“ aus, am 13. März begann der Aufstand.

 

Am frühen Morgen des 18. März versuchten die Regierungstruppen die Nationalgarde durch den Zugriff auf deren Kanonen zu entwaffnen. Aber sie stießen auf wachsende Massenansammlungen – Frauen, Kinder und Alte, die sich schützend vor die Kanonen stellten. Viermal gab General Lecompte den Befehl, sogar auf Frauen und Kinder zu schießen. Die Regierungssoldaten verweigerten diese Befehle und verbrüderten sich mit den Massen. Sie waren es, die die skrupellosen Generale Lecompte und Clément Thomas erschossen. Das wurde und wird immer wieder als Ausdruck der „Terrorherrschaft“ der Kommune angeführt. Aber wer waren die Terroristen? Thiers und seine Generäle, die das Feuer auf Zivilisten richteten, oder die, die ihnen das Handwerk legten? Als die Thiers-Regierung die bewaffneten Arbeiter der Nationalgarde entwaffnen wollte, mussten diese die Machtfrage stellen – und beantworten! 

 

Das Zentralkomitee der Nationalgarde übernahm die Macht in Paris. Die verräterische Regierung mitsamt den restlichen Truppen und dem Großteil der Beamtenschaft flüchtete nach Versailles vor den Toren von Paris. Das Zentralkomitee ordnete bereits für den 26. März Wahlen zum Gemeinderat – das französische Wort ist Kommune – an. Als erstes Dekret beschloss die Kommune die Auflösung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk. Sie verwirklichten die erste Diktatur des Proletariats in der Weltgeschichte.

 

Das war auch das Ergebnis wichtiger Lehren aus den vorangegangenen Revolutionen von 1830 und 1848 – Frankreich war seit der französischen (bürgerlichen) Revolution 1789 das revolutionäre Zentrum Europas. Bei diesen Revolutionen hatten die zahlreich beteiligten Arbeiter nach der ersten Erhebung jedes Mal die Waffen niedergelegt. Jetzt nahmen sie mit der Errichtung der Kommune die Leitung ihrer Revolution erstmals in die eigenen Hände. Vorhandene Illusionen in die bürgerliche Republik wichen der Erkenntnis, dass eine „soziale Republik“ nötig ist, die auch die Kapitalisten und Grundbesitzer enteignet.

 

Dazu trug die zunehmende Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus in Frankreich bei. Das 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels verfasste „Kommunistische Manifest“ fand im ganzen Land Leser und die 1864 gegründete I. Internationale bekam eine zunehmend breite Anhängerschaft. Gegen Verfolgungen, denen ihre Vertreter ausgesetzt waren, gab es bereits 1870 Massenproteste. Streikende Arbeiter wie 1869 die Baumwollarbeiter in Sottevill-les-Rouen wandten sich mit der Bitte um Unterstützung an den Generalrat der Internationale. Dieser trug unter anderem dazu bei, dass sich trotz Niederlage des Streiks die gewerkschaftliche Organisierung der Arbeiter stärkte. Die selbstlosesten Kämpferinnen und Kämpfer der Kommune waren zweifellos die Anhänger der I. Internationale, die etwa ein Drittel der Mitglieder der gewählten Führung stellten.

 

Eine neue Art, zu regieren

 

Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Ihre Maßnahmen wurden zum Vorbild eines proletarischen Parlamentarismus. Die gewählten Vertreter waren rechenschaftspflichtig und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Marx schreibt dazu: „Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.“ Das gleiche galt für die Justiz – auch Richter wurden gewählt, mussten Rechenschaft ablegen und waren abwählbar. „Von den Mitgliedern der Kommune an abwärts, musste der öffentliche Dienst für Arbeiterlohn besorgt werden.“ 3

 

Stellen wir uns einmal vor, dass „unsere“ Regierungsmitglieder für jeden ihrer Schritte Rechenschaft ablegen und jederzeit abwählbar wären. Oder dass ein Scholz, Seehofer oder Spahn sich mit Arbeiterlohn zufrieden geben müssten. Aber so etwas ist in der Diktatur der Monopole grundsätzlich nicht vorgesehen und damit unvereinbar.

 

Die Kommune verwirklichte unmittelbar umfassende soziale Maßnahmen. Sie annullierte die Mietschulden der letzten Monate und verbot die Nachtschicht für Bäckergesellen. Die Pfandhäuser wurden aufgelöst, und vor allem Haushaltsgegenstände kostenlos zurückgegeben. Das wichtigste weltanschauliche Herrschaftsinstrument, die Kirche, wurde enteignet, die Pfarrer sollten sich „mit den Almosen der Gläubigen“ zufriedengeben. Die Kommune erhob die Trennung von Kirche und Staat zum Prinzip und erklärte die Religion zur Privatsache. Sie veranlasste die Öffnung sämtlicher Schulen – und zwar für alle Kinder, ohne Schulgeld zahlen zu müssen. Sie organisierte die Übernahme der Produktion in den Industrie- und Handwerksbetrieben, deren Besitzer vielfach geflohen waren. Atemberaubend waren ihre weitsichtigen Maßnahmen zur Gleichstellung der Frauen (siehe S. 24).

 

Verleumdung und Verfälschung der Kommune

 

Von diesen Ereignissen erfahren Schülerinnen und Schüler so gut wie nichts im Geschichtsunterricht. Marx und Engels würdigten die Pariser Kommune als erstes Beispiel für die Diktatur des Proletariats. Und genau diese treffende Kennzeichnung ist bis heute das Schreckgespenst für die Herrschenden. Im häufig als Sprachrohr des Antikommunismus agierenden Wikipedia-Lexikon werden „diktatorische Maßnahmen“ der Kommune angeprangert. In ihrer Verachtung für die Arbeiter treffen sich die Wikipedia-Schreiber mit kleinbürgerlichen Kräften. Nicht die Arbeiterklasse, sondern die „unteren Bevölkerungsschichten und die Kleinbürger“ werden zu den Akteuren der Kommune erklärt.

 

In dieser Zeit des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus war die Arbeiterklasse zwar zahlenmäßig noch klein gegenüber der Masse der Bauern und Kleinbürger, aber sie wuchs rasch in einigen Großstädten, ganz besonders in Paris. Auch bürgerliche Quellen und Berichte leugnen nicht, dass es Arbeiter und Arbeiterinnen waren, die an der Spitze der Kommune standen.

 

Naturgemäß gab es auch Verrat, gab es Spitzel der Thiers-Regierung und Versuche, die Masse der Bevölkerung gegen die Führung der Kommune aufzuwiegeln. Solche Angriffe wurden mit Verhaftungen unterdrückt. Aber mit Flugblättern und Wandanschlägen, breiten Diskussionen und Volksversammlungen, die die Rechenschaft der Verantwortlichen einforderten, wurde eine beispielhafte Demokratie für die Massen verwirklicht. Und das mitten in dieser Kriegssituation in einer belagerten Stadt. Das eben macht die Dialektik der Diktatur des Proletariats aus: Unterdrückung der Unterdrücker und Demokratie für die Arbeiter und die breiten Massen. Ohne tiefe Überzeugung wäre es auch nicht zu erklären, dass sich Tausende auf den Barrikaden bis aufs Äußerste der anrückenden, waffentechnisch weit überlegenen Armee entgegenstellten.

 

Die Kommune und die I. Internationale

 

„Was die historische Größe der Kommune ausmacht, ist ihr eminent internationaler Charakter, ist ihre kühne Kampfansage an jede Regung von bürgerlichem Chauvinismus“4, schrieb Friedrich Engels zu ihrem 20. Jahrestag. Internationale Teilnehmer der Kommune – die oft zuvor als politische Flüchtlinge aus Polen, Russland, Italien oder Deutschland nach Paris gekommen waren – erhielten die gleichen Rechte wie Franzosen und übernahmen Führungsaufgaben. Nach dem Vorbild von Paris waren im Frühjahr 1871 Kommunen in den meisten Großstädten, zum Beispiel in Lyon, Toulouse, Marseille, Narbonne und so weiter entstanden, die jedoch isoliert waren und rasch niedergeschlagen wurden.

 

Obwohl Marx und Engels das Losschlagen der „Himmelsstürmer“, wie sie die Kommunarden nannten, für verfrüht hielten, zögerten sie keine Sekunde in ihrer unverbrüchlichen Solidarität. Sie mobilisierten die gesamte internationale Arbeiterbewegung mit Erklärungen der Internationale, mit Hunderten von Briefen, mit der Entsendung von Delegationen. Sie betrieben eine akribische Analyse aller Berichte und Stellungnahmen, um die Lehren auch dauerhaft der Arbeiterbewegung zur Verfügung stellen zu können. In anderen Zentren in Europa kam es zu einzelnen Protestaktionen, aber noch nicht zu machtvollen revolutionären Bewegungen. Noch war die revolutionäre Bewegung zu schwach. Um siegen zu können, fehlten zielklare, in den Massen verankerte proletarische Parteien.

 

Es waren die Lehren aus der Kommune, die die Revolutionäre aller Länder beflügelten. Schon Marx und Engels sagten, dass ihnen die positiven – und negativen – Erfahrungen der Kommune zu einer klareren Vorstellung verhalfen, wie der neue Staat aussehen soll, der auf den Trümmern des alten aufgebaut werden  muss. Es war eine zentrale Lehre, die sie zogen ist, dass der bürgerliche Staatsapparat nicht übernommen werden kann, sondern zerschlagen werden muss.

 

Innere Widersprüche in der Kommune

 

Die Kommune konnte ihre bahnbrechenden Ziele nicht umfassend verwirklichen. Das war nicht zuletzt der kurzen Zeit ihres Bestehens geschuldet – aber auch den Unklarheiten und der Widersprüchlichkeit in ihrer Führung. Die Mehrheit in der Führung der Kommune hatten Anarchisten, die die Pariser Kommune eher als Vorläufer einer „herrschaftsfreien“ kommunalen Aufteilung des Landes sahen. Ihre Leitfigur, Louis Auguste Blanqui, vertraute nicht den Massen, sondern verfocht eine putschistische Taktik. Nur wenige Blanquisten waren durch Édouard Vaillant, der den deutschen wissenschaftlichen Sozialismus kannte, zu größerer prinzipieller Klarheit gelangt.  Großen Einfluss hatten auch reformistische Vorstellungen des fünf Jahre zuvor verstorbenen Pierre-Joseph Proudhon. Seine Anhänger waren häufig Inhaber von Kleinbetrieben und sie propagierten die klassenversöhnlerische Vorstellung von einer Gesellschaft, in der das „freie Spiel von Angebot und Nachfrage allen Menschen Wohlstand bringen solle“. Das begünstigte die zögerliche Haltung gegenüber einem Vormarsch auf Versailles, wo die Thiers-Regierung sich verschanzt hatte, und das Zurückscheuen vor der Enteignung der Nationalbank. Insofern war die Pariser Kommune noch nicht Ausdruck dessen, dass sich der wissenschaftliche Sozialismus gegen die Strömungen des Anarchismus und Reformismus endgültig durchgesetzt hatte. Aber sie beschleunigte dessen Siegeszug! Marx und Engels werteten die Erfahrungen aus und verallgemeinerten sie. Lenin und Stalin setzten sie mit der Oktoberrevolution in die Praxis um. Natürlich nicht in den gleichen Formen begegnen uns anarchistische oder klassenversöhnlerische Strömungen auch heute in der Arbeiter-, Jugend- oder Umweltbewegung. Die überzeugende weltanschauliche Auseinandersetzung und restlose Klärung ist ein unerlässliches Vorgefecht für einen neuen Aufschwung und den Sieg des wissenschaftlichen Sozialismus. Auch das lehrt uns die Kommune!

 

Zerschlagen werden konnte sie schließlich, weil die „Erzfeinde“ Frankreich und Deutschland sich zusammentaten und Bismarck die französischen Kriegsgefangenen frei ließ, um sie auf die Kommune loszulassen. Es folgte ein bis dahin beispielloses Massaker der Sieger. Etwa 30.000 Kommunarden wurden erschossen und erschlagen – Zigtausende in die Verbannung geschickt. Noch war die Zeit nicht reif für den Sieg. Die I. Internationale wurde in den kommenden Jahren aufgelöst, um dem Aufbau revolutionärer Parteien in den einzelnen Ländern Priorität einzuräumen.

 

Für die Dialektik von nationalem Parteiaufbau und internationaler Verantwortung planen ICOR und MLPD für dieses Jahr würdige und lehrreiche Veranstaltungen zum Gedenken an diese erste Machtergreifung des revolutionären Proletariats vor 150 Jahren.