Eine Reportage aus Originalberichten
Kara Tepe: Der Solidaritätspakt lebt!
Täglich schicken die Flüchtlinge und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer Nachrichten aus dem Camp Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos. Berichte und Geschichten, die man sonst nirgends zu lesen bekommt.
Die Flüchtlinge aus dem Lager Moria auf Lesbos sind nach dem Brand in das neue Lager Kara Tepe gebracht worden. Das Camp ist laut dem deutschen Innenminister Horst Seehofer (CSU) und der EU angemessen ausgerüstet. Die Flüchtlinge wissen anderes zu berichten: Wenn es regnet, versinkt das Lager im Schlamm. Jetzt ist es Winter, der ist auch auf Lesbos kalt. Es gibt keine Heizung, kein fließendes Wasser. Es hat fünf Monate gedauert, bis das versprochene Dach für die Duschen geliefert wurde. Im Camp, das auf dem Gelände eines ehemaligen Raketenstands der griechischen Armee errichtet wurde, droht den Menschen eine Bleivergilftung.
Michalis: "Ich habe ständig darauf hingewiesen"
Die Bleivergiftung ist in dem Gebiet nichts Neues. Ich habe ständig darauf hingewiesen und wurde von EU-Vertretern und der griechischen Regierung bewusst missachtet. Ich bekam ständig die Antwort, dass es nicht gefährlich ist. Jeder auf der Insel weiß, was da abgefeuert wurde. Zum Teil müssen es große Kaliber gewesen sein; man hörte das Donnern bis in die Stadt hinein. Fast täglich brachten die Kinder vom Waldhügel, wo sie spielten, Teile von Handgranaten mit. Einige Flüchtlinge aus Syrien konnten sie genau zuordnen. Jetzt, wo der Bericht veröffentlicht wurde nach so viele Monaten, setzen EU und giechische Regierung ihre Lügen fort, dass das nicht weiter gefährlich sei. Von der Forderung, alle Bewohner von Kara Tepe auf das griechische Festland zu bringen, halte ich nicht so viel. Wir haben es immer wieder erlebt, dass Menschen ins Camp zurückgekommen sind, weil sie in Athen und Thessaloniki gar nichts haben, kein Dach über dem Kopf, kein Essen, keine Kontakte. Die europäischen Länder müssen die Flüchtlinge aufnehmen!
Falschmeldungen in der deutschen Presse empören die Flüchtlinge
Laut einem in Die Welt veröffentlichten Artikel haben die Zelte in Moria 2.0 (so wird das Lager von Kara Tepe auch genannt; d. Red.) einen festen Boden, der auch gegen Wasser geschützt ist. "Holzpaletten, die mit Kunststoffblech belegt sind, wurden unter die Zelte gelegt und im gesamten Gebiet wurde ein Regenwassermanagementsystem eingerichtet - mit Sammelbecken, Pumpen und Kanälen, um das Wasser von den Zeltstellen weg zu kanalisieren." Das klingt nach einem ziemlich schönen Camp! Leider wissen wir - das Moria Corona Awareness Team und die Moria White Helme, zwei engagierte Gruppen von Camp-Bewohnern - dass erstens das alles noch lange nicht wahr ist, und zweitens, dass das meiste von dem, was tatsächlich getan wurde, wir selber gemacht haben. Warum ist es zulässig, dass die Zeitungen lügen. Sie verbreiten die gleichen Lügen wie die griechischen Zeitungen. Das sind bewusste Falschmeldungen.
Dank an die Gelsenkirchener Ärzte Günter Wagner und Willi Mast
Dank der großartigen Selbstorganisation der Flüchtlinge, die sich ausdrücklich mit der griechischen Bevölkerung verbindet und die mit der Solidaritäts- und Hilfsorganisation Solidarität International einen Solidaritätspakt geschlossen hat, können wichtige Teile der Selbstversorgung, der Logistik, des Gesundheitsschutzes, der Kultur und der Bildung im Camp gewährleistet werden. Es gibt so viel Mut, Kampfmoral, Lebensfreude und Solidarität in Kara Tepe. Eine Mutter gab ihrem im Camp geborenen Baby den Namen "Hope".
Michalis berichtet am 27. Januar: "Wir haben viele Mandarinen erhalten, die über die Recyclingstellen von MCAT im Camp verteilt werden. Die Aktion der Busse (Busse werden zu Schulbussen umgebaut, d. Red.) läuft super. Es wird daran gearbeitet und entsprechend werde ich Euch Informieren. Vielen Dank an die Praxen von Dr. Mast und Dr. Wagner. Ich habe die Pakete entgegengenommen. Ein Paket haben wir Ärzten vom Krankenhaus Mytilene gegeben, wo wir wissen, dass sie die Medikamente entsprechend den Menschen geben, die sie brauchen. Diese Ärzte arbeiten in ihrrer Freizeit ohne Geld in Wohnungen und Apotheken, um die arme Bevölkerung zu unterstützen. Das zweite Paket haben wir in unsere Lagerapotheke getan. Sie wird von einem syrischen Apotheker verwaltet. Der Arabisch-Unterricht für die Kinder ist zur Zeit der Renner. Dieser findet jetzt täglich statt."
In Kürze
- Die Selbstorganisation der Flüchtlinge mit der griechischen Bevölkerung sorgt auch für Bildung und Kultur
- Unterricht in ihrer Muttersprache ist für die Kinder der Renner
- Die Spenden des Solidaritätspakts zwischen SI und Ochi gehen zu 100 Prozent zu den Flüchtlingsaktivisten!
Aus Angst vor der Polizei in den Wald geflohen
"Gestern abend um 18 Uhr", so ein Aktivist aus Kara Tepe, "landete ein Boot mit 22 Personen, zehn Kindern, vier Frauen und acht Männern, nördlich von Lesbos. Die Menschen flüchteten sofort in den Wald, weil sie Angst hatten, von der Polizei wieder in das Boot gesetzt und zurück in die Türkei geschickt zu werden. Sie flohen in die Nähe einer Kirche und machten Bilder von sich, um später zu dokumentieren, dass sie in Griechenland sind. Es herrschten an dem Abend Minustemperaturen. Später wurden sie im Lager Megala Therma registriert. Die Kinder waren fast erfroren. Sie hätten die Nacht draußen nicht überlebt. Eine andere Meldung macht uns jedoch große Sorgen. Wir erhielten eine Nachricht, dass ein Boot um 3.00 Uhr morgens ankommt. Bisher ist aber noch kein einziges aufgetaucht."
Endlich! Ein professionelles Unternehmen kümmert sich um die Entwässerung!
Am 31. Januar gleich mehrere schöne Nachrichten: Ein Flüchtling aus Kurdistan erzählt, dass er heute die ersten wilden Narzissen auf dem Basar von Mytilene gesehen hat. "Das erinnert mich an Kurdistan. Sie kamen immer im März raus."
Weiter geht es im Bericht vom heutigen 31. Januar 2021: "Endlich kam ein großes Unternehmen ins Camp, um sich um die Entwässerung zu kümmern. Es ist, als ob alle unsere Gebete erhört wurden. Genau das haben wir in unserem Brief gefordert. Ein wirklich professionelles Unternehmen macht eine professionelle Arbeit. Wir haben viele Regenfälle und kaltes Wetter erlebt, aber jetzt sehen wir, dass einige ernsthafte Veränderungen passieren, und das ist sehr gut und gibt uns wieder Hoffnung, dass wir nicht vergessen werden. Wir wissen, dass es im Februar und im März viel regnet und es viele kalte Tage gibt. So müssen wir wenigstens nicht den ganzen Winter in diesem Schlamm verbringen. Sie haben auch Kies aufgehäuft, was sehr gut ist, und wir haben gehört, dass sie in den nächsten Monaten eine professionelle und stabile elektrische Anlage machen werden.
Heute waren unsere Teams wieder fleißig beim Strom reparieren. Das Wetter ist jetzt wärmer, aber immer noch Wind und Regen. Wir geben unser Bestes, um alles zu tun, was nötig ist, aber jetzt haben wir gehört, dass endlich ein großes Unternehmen aus Athen in den nächsten Monaten ein gutes und starkes elektrisches System installieren wird. Das hoffen wir sehr.
Heute haben wir Saft gegen leere Flaschen getauscht. Und wir freuen uns sehr, denn wir haben von unseren Freunden von Stand-by-me Lesbos gehört, dass dieses Projekt auch nach Januar fortgesetzt werden kann. Wirklich, es wurde sehr wichtig im Camp und die Leute akzeptieren es sehr. Wir haben gerade gezählt und wir haben es sogar selbst nicht geglaubt, aber letztes Jahr haben wir es geschafft, mehr als drei Millionen leere Plastikflaschen zum Recycling zu bekommen. Und viele Leute machen jetzt sogar Witze, wenn sie sagen, dass dies das erfolgreichste Recyclingprojekt auf der ganzen Insel ist."
Alobeed nimmt die Dinge selbst in die Hand
In Syrien war er ein Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltberater. Er kennt sich genau aus, und wenn er Kritik übt an den Zuständen auf dem Lage, weiß er, wovon er spricht. Alobeed nahm die Dinge in die eigene Hand und gründete die Moria-Weißhelme, benannt nach der Freiwilligen Organisation der Opposition in Syrien. Mit Flüchtlingen, die Elektriker sind, hat er im Lager für Licht gesorgt: In den Zelten, auf den Straßen bis zu den Toiletten. Es gibt jetzt endlich funktionsfähige Lampen, damit der Weg und die Toiletten endlich Licht haben.
Alobeed ist einer von etwa 500 Syrern in Kara Tepe. Auf seinem Handy hat er ein Bild von einem fröhlichen Kleinkind in einem roten Poloshirt, sein jüngster Sohn Hassan, den er zuletzt als Baby gesehen hat. Er hat sechs Kinder, von denen fünf mit seiner Frau in der Türkei leben. Seine Eltern, sein Bruder, seine Schwester starben im Krieg. Nur seine älteste Tochter, neunzehn, ist auch auf Lesbos. Sie brachte letztes Jahr sein erstes Enkelkind im alten Camp zur Welt. Sein Traum ist es, wieder zu arbeiten, aber er hat es schwer. ′′Niemand will uns, niemand kümmert sich um uns." Alobeed steht sehr kritisch zu Hilfsorganisationen. „Selbst das einfachste Ding, wie gepflasterte Wege, werden nicht gemacht - mit all dem europäischen Geld.“
Diese Spenden erreichen zu 100 Prozent ihr Ziel
Spenden über: „Solidarität International e.V.“, IBAN: DE86 5019 0000 6100 8005 84, Stichwort: „Flüchtllingssolidarität"