Polen / Ungarn
Polnische Regierungspartei PiS hat über Nacht ein Viertel ihrer Anhänger verloren
"Die Lage in Polen ist sowohl politisch als auch wegen Corona dramatisch; die Regierung (PIS) macht, was sie will, zusammen mit der Kirche. Das Gesundheitsystem ist katastrophal, es fehlt an Personal, Medikamenten usw. Es herrscht überall Korruption. Schwangerschaftsabbruch, aber auch Scheidung, will die Regierung verbieten,“ schreibt eine Polin.
Dies berichtet Susanne Bader, Europakoordinatorin der Weltfrauenkonferenzen der Basisfrauen.
Die gesamtgesellschaftliche Polarisierung vertieft sich. Umfragen zufolge hat die nationalkonservative PiS („Recht und Gerechtigkeit“) über Nacht ein Viertel ihrer Anhänger verloren. Die Regierung ist in einer Defensive und geht unter dem Druck der Massen aggressiv gegen Kritiker vor. So entschied die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts in Polen, dass der regierungskritische Richter Igor Tuleya seiner Immunität enthoben und seine Bezüge um 25 Prozent gekürzt werden. Damit "folgt" er Beata Morawiec. Beide sind prominente Kritiker der Justiz"reformen" Polens.
Polen und Ungarn haben gegen den EU-Haushalt und den Corona-Wiederaufbaufonds ihr Veto eingelegt. Die EU nutzt die Widersprüche innerhalb Polens. So kritisiert Didier Reynders, EU-Kommissar für Justiz und Rechtsstaatlichkeit, Polen bezüglich der Abtreibungsdebatte: „Wir haben große Zweifel an der Legitimität und Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts in Polen. Ein Verfassungsgericht, das nicht unabhängig ist, legt das Gesetz genauso aus wie die Regierungspartei.“ Das führe zu Misstrauen und einem Ohnmachtsgefühl in der Bevölkerung. "Rechtsstaatlichkeit" interessiert das imperialistische Staatenbündnis EU reichlich wenig, wenn es z. B. um ihre Flüchtlingspolitik und die Rechtsentwicklung in den großen EU-Ländern geht. Die offen diktatorischen Maßnahmen in Polen und Ungarn gehen der EU jedoch zu weit.
Auch Ungarn verschärft seine Politik im Inneren. Nicht nur, dass die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán unter dem Deckmantel der Coronakrise erneut Sondervollmachten erhielt. So kann er nun 90 Tage lang per Dekret regieren. Und so legt er seine neunte Verfassungsänderung in neun Jahren vor! Wie Polen will auch er in Ungarn die Homophobie im Grundgesetz verankern. Künftig soll in Ungarns Verfassung festgeschrieben werden, dass Elternschaft nur aus Mann und Frau bestehen kann; Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare soll verboten werden. Dort soll stehen, "die Mutter (ist) eine Frau und der Vater ein Mann". "Alle Menschen werden von einer Mutter geboren, die eine Frau ist, und haben einen Vater, der ein Mann ist", sagte Justizministerin Varga. "Wir leben in einer seltsamen Welt, wenn man dafür kritisiert werden kann, das Offensichtliche festzustellen."
Stellen wir also "das Offensichtliche" fest: kürzlich bekam das Mathias-Corvinus-Collegium, eine Elite-Kaderschmiede des Orbán-Systems, ein staatliches Milliardenvermögen, ganz intern und kein bisschen transparent.