Polen

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Hunderttausende gegen die Regierung und ihr reaktionäres Abtreibungsgesetz

Seit sieben Tagen demonstrieren zigtausende Frauen und viele Männer in Polen gegen das faktische Abtreibungsverbot, welches die ultrareaktionäre, faschistoide PiS-Regierung über ein Urteil des Verfassungsgerichts durchsetzen will. Höhepunkt war ein landesweiter Generalstreik vorgestern, zu dem das Bündnis „Allpolnischer Frauenstreik“ aufgerufen hatte.

Von Korrespondenz aus Hannover
Hunderttausende gegen die Regierung und ihr reaktionäres Abtreibungsgesetz
Bild vom aktuellen Protest gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts (foto: Silar (CC BY-SA 4.0))

Die Proteste beinhalten nicht nur den Widerstand gegen das Abtreibungsgesetz, sondern richten sich zunehmend insgesamt gegen die ultrareaktionäre PiS-Regierung. Das Verfassungsgerichtsurteil treibt das ohnehin schon härteste Abtreibungsrecht Europas auf die Spitze: So sollen selbst Schwangerschaftsabbrüche bei schweren Fehlbildungen des Fötus verboten und unter Strafe gestellt werden. Erlaubt sind Eingriffe nur in Ausnahmefällen, nach Vergewaltigung, bei Inzest oder Gefahr für das Leben der Mutter. Das bedeutet faktisch die allgemeine Abschaffung des Rechts auf Abtreibung.

 

Wer jetzt denkt, dass dieses Gesetz als Reaktion auf eine erhöhte Zahl von Abtreibungen zustande gekommen ist, der irrt gewaltig: In polnischen Kliniken fanden diese Jahr überhaupt nur 1100 Schwangerschaftsabbrüche statt. Davon waren 1074 Abbrüche nötig, da die Föten Missbildungen aufwiesen. Eine sehr geringe Zahl, die keine Grundlage für den harten Kurs in Sachen Verbot von Schangerschaftsabbrüchen darstellt. Sie werden damit zu unsicheren Abbrüchen gedrängt und ihre Gesundheit wird gefährdet.

 

Wichtig hierbei ist aber: Keineswegs gehen die Frauen in Polen - und natürlich auch in anderen Ländern - leichtfertig mit der Abtreibung eines Kindes um, wie das die ultrareaktionäre polnische Regierung mit ihrer Propaganda glauben machen will. Häufig spielen hier gesellschaftliche Umstände und Verhältnisse eine ganz wichtige Rolle.Noch weniger sind sie pauschal dafür, behinderte Kinder abzutreiben. Das war und ist auch nicht die Linie der MLPD. Es muss aber immer die Entscheidung der Frau selber sein - und es ist beileibe keine Leichte - entscheiden zu können, ob sie ein Kind zur Welt bringen will, oder ob sie das nicht will.

 

Die Regierungspartei PiS von Vizepremier Jaroslav Kaczynski betreibt diese frauenfeindliche Politik schon lange. Die Partei, die sich „Recht und Gerechtigkeit“ nennt, hat mit Gerechtigkeit so viel am Hut, wie die CDU mit christlicher Nächstenliebe. PiS war schon 2016 mit ihrem Vorhaben, das Abtreibungsgesetz auf parlamentarischem Weg weiter einzuschränken, am Widerstand der kämpferischen Frauenbewegung gescheitert. Damals gingen 200.000 Frauen auf die Straße und brachten die Regierungspläne zu Fall. Die PiS-geführte Regierung musste erst das Verfassungsgericht neu besetzen, um einen neuen Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frauen starten zu können.

 

Aber die polnische Regierung hat die Stimmung in der Bevölkerung falsch eingeschätzt. Nach einer Umfrage für die Tageszeitung Gazeta Wyborcza halten 74 Prozent der Polinnen und Polen das Verfassungsgerichtsurteil für falsch.

 

Das wurde vorgestern Hunderttausendfach auf den Straßen in allen großen Städten und kleinen Orten Polens laut. In Behörden, Universitäten und Betrieben folgten Tausende dem Aufruf zum Generalstreik. Über die Beteiligung von Industriearbeiterinnen und Arbeitern erfährt man leider wenig. Die Wut richtet sich gleichermaßen gegen die Regierung wie auch gegen die katholische Kirche. Forderungen nach Rücktritt der Regierung, des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofes, sowie zur Abschaffung staatlicher Finanzierung der Kirchen werden laut. Die Frauen fordern außerdem die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, Sexualkunde und Verhütungsmittel für alle. Zehntausende zogen durch Krakau mit Schildern wie „Mein Körper, meine Wahl“, „Hier ist Polen, nicht der Vatikan“ oder „Die Revolution ist eine Frau“.

 

In Warschau belagern Demonstranten über Stunden das Parlament, andere zogen zum Haus des PiS-Chefs Kaczynski oder zu örtlichen Dienstsitzen von Bischöfen. Die Proteste haben im Vergleich zu 2016 eine breitere Basis bekommen. Kinga Duda, Tochter des polnischen Staatspräsidenten Andrzej Duda, fordert, dass Frauen selbst über eine Abtreibung entscheiden können müssen. Die Oberbürgermeisterin von Lodz, Hanna Zdanowska, schloss sich dem Frauenstreik an und postete ein Bild ihres leeren Schreibtischstuhls mit den Worten „Bin außerhalb des Büros“. Aber vor allem sind es Massenproteste, vielfach geprägt von jungen Frauen, die sich als „unpolitisch“ bezeichnen und zum ersten mal in ihrem Leben demonstrieren.

 

Jaroslav Kaczynski hetzt dagegen – angelehnt an die Demagogie des US-Präsidenten Donald Trump - gegen die Massenproteste: „Diese Attacke soll Polen vernichten. Sie soll zum Triumph von Kräften führen, deren Herrschaft die Geschichte des polnischen Volks, so wie wir es kennen, beenden soll.“ Ähnlich wie in den USA fühlen sich auch in Polen dadurch neofaschistische Kräfte und rechte Hooligans herausgefordert, mit Gewalt gegen die Massenproteste vorzugehen.

 

In den Massenprotesten kommt der Wille der Masse der Menschen zum Ausdruck, auf diese Weise nicht mehr regiert werden zu wollen. Sie wollen nicht „die Geschichte des polnischen Volkes beenden“, sondern kämpfen gegen die Rechtsentwicklung und gegen einen Rollback ins vorletzte Jahrhundert. Die Angst Kaczynskis vor dem Kampf der Frauen, der Arbeiterklasse und den Massen ist berechtigt. Die Geschichte hat vielfach bewiesen, dass ein Triumph der fortschrittlichen, revolutionären Kräfte am Ende unvermeidlich ist, wenn sie sich einig sind. Die kämpferische Frauenbewegung ist immer gut beraten, wenn sie ihren Kampf um die Befreiung der Frau in den Kampf zur Befreiung der Menschheit von Ausbeutung und Unterdrückung einreiht.