Im Sumpf der Korruption
Bulgariens Machthaber und die schützende Hand der EU
Bereits den sechsundachtzigsten Tag in Folge demonstrierten letzten Donnerstag, den 1. Oktober, Tausende durch die Innenstadt der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Damit reihen sie sich in die vielen teils Wochen oder Monate andauernden Proteste in Osteuropa ein, die Regierungen und Staatsapparate in Belarus, in Polen oder Albanien erschüttern.
Die Beben erreichen auch die EU. Denn deren Gelder ermöglichen gerade den besonders im Kreuzfeuer stehenden Regierungen in Polen, Ungarn und Bulgarien und den Monopolen, für die sie tätig sind, ihren Kurs der Ausbeutung und Unterdrückung der Bevölkerung, der schamlosen Selbstbereicherung und Korruption fortzuführen.
"!Ostavka! (Rücktritt) Weg mit der Mafia!"
... fordern die bulgarischen Demonstranten, unter ihnen auch Arbeiter und Angestellte wie aus der boomenden IT-Industrie Bulgariens. Die Rücktrittsforderungen gelten dem amtierenden Ministerpräsidenten Bojko Borissow von der reaktionären GERB-Partei (Deutsch „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) sowie dem amtierenden Generalstaatsanwalt, Iwan Geschew. Gefordert werden Neuwahlen. Hand in Hand decken sich Regierung und die Spitzen der Justiz gegenseitig bei ihren dunklen Geschäften, vereiteln deren Aufklärung, verfolgen und unterdrücken Kritiker. Die Skandale, die das Land erschüttern, tragen Namen wie Krimititel: „Appartementgate“, „Die acht Zwerge“ oder „Drohnengate“.
Was von Journalisten und Regierungsgegnern aufgedeckt wird, hat durchaus das Zeug zum Politkrimi. Heimliche Filmaufnahmen zeigen Bojko Borissows Nachttischschublade vollgestopft mit 500-Euro-Scheinen. Beamte des bulgarischen Transportministeriums betreiben einen schwungvollen Handel mit Führerscheinen. Politiker erwerben Luxusappartements zu Spottpreisen, und hinter den niedlichen „Acht Zwergen“ verbirgt sich ein Erpressungsthriller.
Nichts von alledem interessiert die bulgarische Generalstaatsanwaltschaft. Aktiv wurde sie dafür in einem anderen Fall: Die regierungskritischen Demonstrationen wurden ausgelöst, als aufgedeckt wurde, wie verschiedene Oligarchen (aus der früheren revisionistischen Staatsbürokratie hervorgegangene Wirtschaftsmonopole) sich Staat und Justiz zu Diensten machten. Als Christo Inwanow, der Vorsitzende der Oppositionspartei „Da, Bulgaria!“ (Ja, Bulgarien!) bei einer Protestaktion vor der Villa des Oligarchen und Ex-Politikers Ahmed Dogan verhaftet wurde, stellte sich heraus, dass er nicht etwa durch dessen privates Sicherheitspersonal abgeführt wurde. Dogan ließ sich vom regierungseigenen Sicherheitsdienst bewachen, auf den er gar kein Anrecht hat! Als dies der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew aufdeckte, immerhin das Staatsoberhaupt, kam es zu putschartigen Szenen: Eine Einheit der Generalstaatsanwaltschaft stürmte den Präsidentenpalast und nahm zwei Berater fest. Der rumänische Staatspräsident ist bereits seit längerem ein Kritiker der Regierung Borissow.
Dazu schreibt der Vorsitzende des ICOR-Mitglieds Bulgarische Kommunistische Partei, Spas Spassov: "Einen neuen Impuls der Proteste gaben hauptsächlich zwei Ereignisse: 1. Der Führer einer kleinen bürgerlichen Partei, der für kurze Zeit Justizminister in der zweiten Regierung von Borissov war, machte eine Aktion am Strand, wo der Führer der türkischen Partei, Ahmet Dogan, ungesetzliche Gebäude errichtet hat und verfassungswidrig den Zutritt zum Strand mit der Unterstützung von Bodyguards vom Geheimdienst versperrt hatte. Dies rief eine große Empörung hervor, weil Dogan ständig verdächtigt wird, die Fäden im Hintergrund zu ziehen. 2. Die Staatsanwaltschaft hat die Büros von zwei Beratern des Staatspräsidenten im Präsidentenamt durchsucht und sie wegen Korruption angeklagt.
Dazu wurden auch Bilder vom Borissov-Schlafzimmer veröffentlicht, auf denen große Summen ... Goldbarren und eine Pistole zu sehen sind. Außerdem kamen auch Audioaufnahmen von seinen Gesprächen, die durch seine vulgäre Sprachweise geprägt sind, an die Öffentlichkeit. Darunter ist auch eine Bedrohung einer sozialistischen Abgeordneten des Europaparlaments.
Eine Kulmination der Proteste fand am 30. Juli statt. Im August war das Parlament in Ferien und die Proteste waren nicht besonders aktiv, aber es wurden drei wichtige Kreuzungen in Sofia mit Zeltlagern blockiert. Proteste gibt es auch in anderen Großstädten wie Varna, Plovdiv u. a."
EU-freundlicher Kurs gegen Schmiergelder
Trotz zahlreicher Kritiken über die grassierende Korruption in Bulgarien forcierten Deutschland und andere EU-Mächte die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in die Europäische Union, die im Jahr 2007 erfolgte. Hintergrund ist die Macht- und Wirtschaftspolitik der imperialistischen EU, die sich den gesamten Balkanraum und weitere - dem früheren russischen Einflussgebiet angehörende - Staaten einverleiben will. Der Preis dafür sind Schweigen und Milliardengelder aus den EU-Kassen. Jährlich steht Bulgarien in der Kritik wegen unzureichender Korruptionsbekämpfung und der fehlenden Kontrolle über die Generalstaatsanwaltschaft. Dennoch empfahl die EU-Kommission letztes Jahr die Entlassung Bulgariens aus dem Kontroll- und Korruptionsverfahren. Noch nach dem Ausbruch der Proteste im Juli 2020 erklärte Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei, zu der sowohl die deutsche CDU/CSU als auch die Partei Borissows, GERB, gehören, seine ausdrückliche Solidarität mit Borissow. Bojko Borissow stimmt brav alles ab, was von der EU-Kommission unter Führung Ursula von der Leyens kommt, die übrigens selbst Mitglied der CDU und damit auch der EVP ist. Dafür fließen die Gelder.
Zwei junge Unternehmer der IT-Branche äußerten sich gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung anonym: „Die EU hat einen korrumpierenden Einfluss auf unser Land. … Ohne die Milliarden aus dem Wiederaufbaufonds wäre Borissow wahrscheinlich schon weg. Aber so gibt es einfach für zu viele zu viel zu holen.“ Das spüren aber auch die Massen, so dass die EU-kritischen Stimmen deutlich zunehmen.
Korrupt und rechts
Die EU unterstützt also eine weitere, deutlich nach rechts gerückte Regierung, allen Heucheleien über Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Meinungsfreiheit zum Trotz. Borissows konservative GERB regiert seit den Parlamentswahlen 2017 mit der russlandfreundlichen und faschistoiden Allianz Vereinigte Patrioten und lässt sich von der ebenfalls rechten Partei Wolja tolerieren. Ein politisches Klima, in dem die Korruption erst recht aufblühen kann.
Bulgarien ist eine weitere Facette der sich vertiefenden Krise der imperialistischen EU. Die Massen in Europa müssen deren zutiefst volksfeindlichen, imperialistischen Charakter erkennen. In allen Ländern Europas sind starke revolutionäre marxistisch-leninistische Parteien notwendig, um vereint und erfolgreich gegen die Diktatur des internationalen Finanzkapitals zu kämpfen, in dessen Auftrag die EU und die europäischen Regierungen handeln.