Peru

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Armut und Corona – eine tödliche und explosive Verbindung

Gemessen an der Bevölkerungszahl hat kein Land so viele Corona-Tote zu beklagen wie Peru.

Von Anna Bartholomé
Armut und Corona – eine tödliche und explosive Verbindung
Die Massen in Peru kämpfen gegen die wütende Corona-Pandemie und gegen staatliche Sondereinheiten (foto: Ministerio de Defensa del Perú (CC BY 2.0))

Die Johns Hopkins Universität nennt am gestrigen 15. September 729.619 Infizierte und 30.710 Tote. Das sind bei 31 Millionen Einwohnern fast 100 Tote auf 100.000 Einwohner! In Wahrheit sind noch viel mehr Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen – Tote, die nicht getestet wurden, werden nicht als Corona-Tote gezählt.

 

Die peruanische Regierung verhängte die vermutlich strengste Ausgangssperre in ganz Südamerika. Schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren auf den Straßen. Zeitweise durften Männer und Frauen nur abwechselnd zum Einkaufen auf die Straßen, je nach Wochentag.

 

Aber viele können sich gar nicht daran halten, weil sie als Straßenhändlerinnen oder Tagelöhner draußen arbeiten müssen, wenn sie nicht verhungern wollen. So sagt eine Straßenhändlerin: "Ich arbeite als Straßenhändlerin und verkaufe Hühnchen. Und ich muss auch in dieser Krise jeden Tag arbeiten. Wenn ich aufhöre zu arbeiten, haben meine Kinder und ich nichts zu essen. Und wie sollen wir dann gesund bleiben?"

 

Die Hauptstadt Lima ist eine Millionenstadt in der Wüste – riesige Elendsviertel, Barrios, kriechen die kahlen Berghänge empor. Es ist jetzt Winter in Peru und auch andere Infektionen nehmen zu. Eine Frau schildert: "Es reicht nicht einmal mehr zum Händewaschen, weil wir jetzt mit der Krankheit so viel Wasser brauchen. Und ohne Wasser, womit sollen wir uns waschen? Die Kinder spielen draußen. Wir müssen ihre Kleidung jeden Tag waschen und sie sollen sich dauernd die Hände waschen. Das ist ein Problem, weil der Wasser-Tankwagen nicht bis zu uns hoch kommt."

 

Das - seit Jahrzehnten durch Privatisierung und Kommerzialisierung heruntergewirtschaftete - Gesundheitswesen kollabiert. Krankenhäuser und auch Leichenhallen sind überfüllt.

 

Die meisten Menschen haben gar keine Krankenversicherung. Sie versuchen, erkrankte Angehörige zuhause zu beatmen. Aber für eine Gasflasche werden mittlerweile horrende Preise verlangt – es gab Überfälle auf Lager von Gasflaschen.

 

Als eine wesentliche Ansteckungsquelle bei Bergarbeitern wurde das System von "geteilten Betten" aufgedeckt: In den Unterkünften teilen sich jeweils zwei Arbeiter der Gegenschichten ein Bett, während der eine arbeitet, schläft der andere.

 

Weltwirtschafts- und Finanzkrise und die Corona-Krise schaukeln sich in verheerender Weise gegenseitig hoch. Die Industrieproduktion ist im März um 32,3 Prozent, im April um 54,9 Prozent und im Mai um 41,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen. Das sind die aktuellesten Zahlen. Trotz Steigerung gegenüber dem Mai sank die Goldproduktion im Juni immer noch um 46 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat, die Silberproduktion um 17,5 Prozent. Die Kupferproduktion sank im gesamten ersten Halbjahr 2020 um 20,4 Prozent im Vorjahresvergleich, die Zinkproduktion um 23,7 Prozent.

 

Aber es sind – neben zahlreichen solidarischen Organisationsformen gegenseitiger Hilfe – auch anschwellende Proteste, die deutlich machen, dass die Massen nicht mehr in der alten Weise leben wollen. So wackelt aktuell auch die peruanische Regierung. Sie ist unter Druck geraten - mehrere Minister mussten bereits ausgewechselt werden.

 

Bei Protesten gegen den kanadischen Öl- und Gaskonzern PetroTal gab es drei Tote und mehrere Verletzte. Vier davon sind lebensgefährlich verletzt. 70 indigene Dorfbewohner hatten versucht, das Lager der Firma PetroTal in Loreto (Amazonas-Region) zu besetzen. Sie forderten die Einstellung der Arbeiten wegen Umweltverschmutzung und wegen der Folgen der Corona-Pandemie. Die Polizei schoss auf die mit Speeren bewaffneten Protestierenden. Die Proteste, Blockaden und Streiks in Cusco gegen Glencore gehen weiter.

 

In Arequipa protestierten Studierende und ihre Eltern gegen die Studiengebühren und forderten eine Absenkung der Gebühren wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage. Ebenso protestierten erneut städtische Beschäftigte für ausreichende Schutzausrüstung und die Auszahlung von Nothilfe, trotz Demonstrationsverbots. Die Polizei ging mit Gewalt gegen die Demonstrationen vor. Das städtische Reinigungspersonal in Lima protestierte gegen die Auslagerung von Arbeitsplätzen und Entlassungen. Die Gewerkschaftsvorsitzende wurde angegriffen und 20 Arbeiter wurden verhaftet. Aber jede Polizeigewalt wird mit noch wütenderen Protesten beantwortet.