Interview mit Ibrahim Cicek (Journalist und MLKP-Kenner)
"Die Parteien brauchen in dieser Zeit sehr enge Beziehungen"
Wir veröffentlichen Auszüge eines Interviews, das Monika Gärtner-Engel im Rahmen einer Feier zum 25. Geburtstag der MLKP im Oktober 2019 mit Ibrahim Cicek führte. Ibrahim Cicek ist Journalist, der intensiv über die MLKP recherchiert hat und deshalb mit der Materie sehr vertraut ist. Verschiedentlich wurde er auch in MLKP-Verfahren angeklagt und in der Türkei zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt.
Monika Gärtner-Engel: Erstmal beglückwünschen wir die MLKP zum 25. Geburtstag und meine erste Frage an dich, als jemand der sich intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt hat, ist: Was ist die Botschaft der MLKP an die revolutionären Parteien der Welt aus Anlass ihres Geburtstages?
Ibrahim Cicek: In ihren 25 Jahren hat die MLKP versucht, die Frage der Notwendigkeit einer revolutionären Führung zu verankern. Sie analysierte kritisch die Entwicklungen der kommunistischen Bewegung, aus der wir ja alle hervorkommen, seit den Fünfziger- und Sechziger-Jahren. Anhand dieser Kritiken, die sie hat, versucht sie, Schlussfolgerungen für die heutige Welt zu ziehen. Sie ist überzeugt von der Notwendigkeit einer Internationalen in der heutigen Zeit. Aber auch anhand der Entwicklung der allgemeinen Lage der Welt, weiß sie, dass eine Internationale die heutigen Führungsfragen des Klassenkampfs den heutigen Verhältnissen entsprechend lösen muss. Darum wird die Internationale quasi eine Neugründung auf Basis bisheriger Erfahrungen sein. Eine grundlegende Herangehensweise ihrerseits ist, dass in allen Ländern auch das Bedürfnis besteht, so eine Phase der Neugründung von Parteien quasi zu durchleben. Darum brauchen die Parteien in dieser Zeit sehr enge Beziehungen untereinander. Sie müssen Wege schaffen, über die sie voneinander lernen können. Sie müssen engere Beziehungen entwickeln, um die internationale Organisierung zu entwickeln und zu stärken. Das ist die Herangehensweise der MLKP.
Monika Gärtner-Engel: Wie siehst du das Verhältnis zwischen der Unterstützung der MLKP für die "Revolution in Rojava" und den internationalen Klassenkampf der Arbeiterklasse?
Ibrahim Cicek: Vor allem wenn wir auf Europa schauen, sehen wir, dass einige revolutionäre Traditionen in Europa etwas veraltet sind. Darum ist die Rojava-Revolution vor allem für die Revolutionäre in Europa eine neue Botschaft, eine revolutionäre Erneuerung unter den heutigen Bedingungen. Wichtig ist, dass eine gegenseitige Einflussnahme stattfindet. In den imperialistischen Ländern ist und bleibt das Proletariat die Vorhut der die Gesellschaft verändernden Kräfte. Die Kräfte in Rojava führen ihre Revolution unter ihren Bedingungen durch und die Beziehung zwischen diesen beiden Kräften muss sich als eine gegenseitige fruchtbare Beziehung entwickeln. Sie brauchen einander. Aber beide müssen sich verändern und sich entwickeln. Sie müssen voneinander lernen und voranschreiten. Aber niemand kann seine alten Positionen einfach weiter aufrechterhalten.
Monika Gärtner-Engel: Als Mitglied der MLPD und Hauptkoordinatorin der ICOR ist mir aufgefallen, dass in den Dokumenten der MLKP gar nichts über die ICOR steht, obwohl wir da ja sehr eng zusammenarbeiten und ihr aktives Mitglied seid. Wie positioniert sich die MLKP zur ICOR?
Ibrahim Cicek: Die ICOR ist eine revolutionäre und antiimperialistische Organisation. Es sind sehr viele verschiedene Organisationen, sehr viele ideologische Richtungen in ihr vertreten. Jeder beteiligt sich an der ICOR aufgrund von eigenen spezifischen Beweggründen. Zum Beispiel hat die MLPD eigene spezifische Gründe, die MLKP wiederum hat auch eigene spezifische Gründe, warum sie in der ICOR ist. Diese Zusammenarbeit ist eine Art Übergangszeit für den Aufbau einer Internationalen. Solche Organisationsformen sind sehr notwendig. Die MLKP arbeitet darin und auch an verschiedenen gemeinsamen Fronten bzw. in Bündnissen auch mit den maoistischen Genossen zusammen, obwohl sie ja keine Maoisten sind. Es gibt unterschiedliche Perspektiven, aber diese unterschiedlichen Herangehensweisen und Ansichten, hindern sie nicht daran, gemeinsam gegen den Faschismus zu kämpfen. Darum vertritt die MLKP die Ansicht, dass solche Organisierungen in der heutigen Zeit den Kampf stark nach vorne tragen werden. Aber die Frage der Notwendigkeit einer Internationalen ist eine heute noch ungelöste Frage.