Lenin-Statue

Lenin-Statue

Die Zeit ist reif für diese Diskussion

Am 20. Juni enthüllte die MLPD vor ihrer Bundeszentrale in Gelsenkirchen eine gut zwei Meter große Lenin-Statue. Ein Ereignis, das rund um den Globus Wellen schlägt.

Von Jörg Weidemann
Die Zeit ist reif für diese Diskussion
(rf-foto)

"Mindestens 1,6 Millionen Menschen in China haben sich das Video bereits angeschaut“, berichtet eine Mitarbeiterin aus dem Social Media Bereich der MLPD. „Den englischsprachigen Film bei Ruptly TV sahen bis heute 772.000 Menschen. Eine unserer Twitter-Meldungen erreichte weit über 100.000 Impressionen/Eindrücke.“

 

Vor allem wurde mit der Lenin-Statue massenhaft das Tabu durchbrochen, nicht sachlich über Lenin, die MLPD und den Kommunismus zu diskutieren. Das ist genau im Sinne der Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance!“

Das gefällt aber nicht jedem

Eine sachliche Diskussion, das passt nicht jedem und ruft notorische Antikommunisten auf den Plan. Sachliche Diskussion - das wollen und/oder können sie nicht. Der Gelsenkirchener Oberbürgermeister, Frank Baranowski (SPD), äußerte sich in einem Video-Clip zur Lenin-Statue. In einer Minute und vierzig Sekunden bringt er es fertig, Lenin süffisant lächelnd immerhin viermal als Diktator zu bezeichnen – ohne jeden Beleg. Ganz demokratisch durchwirkt erklärt er: „Für ein derart rückwärtsgewandtes Geschichtsverständnis haben wir als städtische Gesellschaft kein Verständnis.“

 

In den Kommentaren unter seinem Video bekommt er passende Antworten. Statt sich derart anmaßend zur Verkörperung der „städtischen Gesellschaft“ zu erklären, täte ihm ein Blick rückwärts in die neue und ältere Geschichte ganz gut: „Frank Baranowski ist Mitglied einer Partei die einen illegalen Krieg 1999 gegen Jugoslawien veranlasst hat ... Baranowski ist Mitglied einer Partei die für die Kriegskredite … gestimmt hat.“, schreibt einer.

 

Ein anderer: „Vier mal das Wort Diktator. Das ist Argumentum ad nauseam¹ ... So wird ein Fehlschluss bezeichnet, nach dem eine Aussage durch ständiges Wiederholen scheinbar richtiger wird." Ein weiterer ergänzt: „Wenn solche Herren für Verbote von Lenin-Statuen sind, dann sind sie keine Demokraten.“

 

Immerhin zwei Gerichtsprozesse strengte der OB auf Kosten der Steuerzahler gegen die Statue an und hat jetzt eine, sicher nicht billige, antikommunistische Ausstellung geordert. Baranowski wirft der MLPD die „undemokratische Verherrlichung eines Diktators“ vor. Dabei ist er es, der sein Amt missbrauchte, um die Denkmalbehörde anzuweisen, mit vorgeschobenen Begründungen über Denkmalschutz die Statue zu verhindern. Beide Gerichte belehrten ihn eines Besseren. Statt den Fehler einzugestehen, kritisiert er die Gerichtsentscheidungen. Zur Frage des Diktators unten mehr ...

Viele Fragen

Nach 75 Jahren staatlich verordnetem Antikommunismus in der BRD und entsprechender Schulbildung in Westdeutschland sind natürlich Tausende Fragen zu beantworten. Am Wochenende sprach der Neffe einer Genossin diese an. Vieles überzeugte, aber es gibt gleichzeitig wieder neue Fragen. So hat er gehört, Lenin habe viele politische Gegner ermorden lassen.

 

Zunächst muss man festhalten, dass Lenin persönlich keinen einzigen Menschen ermordet hat. Er sprach sich nach der Oktoberrevolution für die Abschaffung der Todesstrafe aus. Diese war damals in allen Länder der Erde üblich. In der Sowjetunion wurde sie damals zeitweise abgeschafft.

Wer waren die „politischen Gegner“

Unter „politischen Gegnern“ stellt man sich gemeinhin friedliche, kritische Andersdenkende vor. Aber solche Menschen wurden von Lenin garantiert nicht verfolgt. Mit ihnen suchte er im Gegenteil den Dialog. Der „politische Gegner“, gegen den Lenin mit harter Hand durchgriff, war die brutale „weiße“ Konterrevolution: Faschisten, Großgrundbesitzer und Zaren-Anhänger. Sie verbündeten sich ab März 1918 mit 14 kapitalistischen und imperialistischen Ländern, die das gerade befreite Land brutal überfielen.

 

Smail Rapic, Professor an der Bergischen Universität Wuppertal, ist kein Freund Lenins oder des Sozialismus. Aber selbst der Professor für Philosophie räumt in einem Vortrag ein, dass „das massive Engagement der West-Alliierten zugunsten der Weißen sich keinesfalls als Verteidigung der Freiheit gegen den Totalitarismus deuten“ lässt. „Die Weißen verübten Massaker an der jüdischen Bevölkerung, die die Pogrome der Zarenzeit in den Schatten stellten … Nach neueren Schätzungen wurden bis zu 150.000 Juden von den Weißen ermordet.“²

 

Allein im Juli 1918 wurden 414 Terrorakte gegen Vertreter der Sowjetmacht verübt. Im gleichen Monat wurden 4000 Partei- und Sowjetfunktionäre sowie Dorfaktivisten ermordet. Am 30. August 1918 wurde ein Mordanschlag auf Lenin verübt.

 

Diese sogenannten politischen Gegner versuchten mit allen Mitteln der Sabotage, Lebensmittelvernichtung, politischen Morden, Massakern, Juden-Pogromen und imperialistischer Intervention den jungen Sozialismus zu zerstören. Großbauern (Kulaken) bunkerten Berge von Lebensmitteln, töteten Vieh oder verbrannten Ernten, um den revolutionären Kampf auszuhungern und provozierten damit Hungersnöte. Gegen solche Leute wurde in der Kriegssituation tatsächlich auch rigoros vorgegangen.

 

Schon während, und erst Recht nach dem Bürgerkrieg, wurde gleichzeitig größter Wert auf den Aufbau einer fortschrittlichen Rechtsstaatlichkeit gelegt. Es gab damals auch Willkür, Verbrechen und Amtsmissbrauch. Aber solche Erscheinungen wurden von Lenin und den Bolschewiki bekämpft, auch in den eigenen Reihen.

Worauf stützen sich die Vorwürfe

Die Legende Lenin sei ein Massenmörder geht auf eine Hitler-Rede aus dem Jahr 1920 zurück.³ Heute kommt der Vorwurf aber aus dem Mund von Politikern der CDU, SPD und FDP. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die das alle bei Hitler abschreiben“, so der oben genannte Neffe.

 

„Jahrzehntelang wurde diese Behauptung als faschistische Propaganda abgelegt. Sie wurde nicht groß weiter verbreitet, außer von gewerbsmäßigen oder aggressiven Antikommunisten“, so Dieter Klauth, den die Rote Fahne dazu befragte. Er hat alle wesentlichen antikommunistischen „Standardwerke“ und unzählige Stalin-Biographien gelesen und ihre Quellen unter die Lupe genommen. „Bis vor kurzem wurde Lenin in der Regel nicht so schäbig behandelt - anders als Stalin. Aber seit einigen Jahren wird die Massenmörder-Legende neu aufgelegt und jetzt auch von bürgerlichen Parteien umfassender transportiert. Nicht etwa, weil es irgendeine neue Erkenntnis oder ähnliches gibt. Das Motiv ist, eine neue gesellschaftliche Diskussion über die revolutionäre Beseitigung des Kapitalismus zu verhindern“, erklärt der ehemalige Drucker.

 

Natürlich würde heute kaum mehr jemand direkt bei Hitler oder seinem Propaganda-Minister Josef Goebbels abschreiben. Aber ihre Fake-News sind über Sekundärquellen, Biographien oder zahlreiche trotzkistische Texte in die bürgerliche Geschichtsschreibung eingeflossen. „Oft muss man sich durch zahlreiche Biographien rückwärts durcharbeiten bis zur Ursprungsquelle. Viele der sogenannten Stalin-Biographen schreiben einfach immer wieder voneinander ab - letztlich landet man meist bei faschistischem Material“, hat Dieter Klauth akribisch herausgefunden.

Es geht übrigens auch anders

Nicht überall ist man derart antikommunistisch verstockt, wie in der Gelsenkirchener Stadtspitze. In Eisleben forderte der Stadtrat Reiner Gerlach die Wiederaufstellung einer Lenin-Plastik. Sie war nach dem Mauerfall demontiert worden, „könnte heute aber eine wichtige Touristenattraktion sein“, so der CDU-Mann.

 

Die Rote Fahne ruft alle Leserinnen und Leser auf, die Lenin-Diskussion intensiv zu führen und uns - sozusagen live - von diesen konkreten Diskussionen zu berichten: Welche Fragen gab es, wie habt ihr sie beantwortet, wo konnten Fragen nicht geklärt werden? Die Rote Fahne freut sich auf alle diesbezüglichen Zuschriften und wird dazu eine eigene Rubrik eröffnen.