Argument zu Corona
Die Exit-Debatte und die Systemfrage
Seit einigen Tagen rückt die Frage nach dem Exit aus der coronabedingten Gesundheitskrise stärker in die öffentliche Debatte. Mit Exit (lateinisch für „Ausstieg“) ist die Zukunft gemeint, wie man zum Ende der Krise kommen wird. Der Literaturwissenschaftler Jörg Bong macht sich in einem Gastbeitrag bei "Spiegel-online" von gestern, den 3. April, Sorgen, dass die weltanschauliche Grundlage des Kapitalismus erschüttert werden könnte.
Es sei ja menschlich und human, wenn Einzelinteressen zu Gunsten der Rettung einer bedrohten Mehrheit anderer, nämlich älterer und kranker Menschen, Opfer bringen. Aber so warnt er, das könnte in Barbarei umschlagen, wenn sich der Gedanke Bahn bricht, dass sich Einzelne dem Kollektiv, dem Volk usw., unterordnen müssten. Ja, wo kämen wir - zu Ende gedacht - mit dieser „Verschiebung der Zentralperspektive“ hin, wenn „der (ethische) Fokus vom Einzelnen zum Kollektiv, zum Allgemeinen wechselt“, fragt er sich? Ja wo kämen wir denn hin, wenn sich die Konzernspitzen von VW, Siemens usw. dem Willen ihrer Belegschaften unterordnen müssten.
Herr Bong wagt natürlich nicht, an diese Perspektive zu denken und Begriffe wie Sozialismus und Kommunismus in den Mund zu nehmen. Über diese menschliche Alternative sollen die Leute bloß nicht nachdenken, wo die kulturellen und materiellen Bedürfnisse der ganzen Gesellschaft Leitfaden auch für die Entfaltung der Persönlichkeit sind. Wofür Herr Bong ist, das lässt er ganz am Schluss doch noch raus: „Es geht um die Grundfeste, ja, um die viel beschworenen, zumeist tatsächlich zur Floskel gewordenen Grundwerte, die Bewahrung unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsordnungen, zivilisatorischer und kultureller Werte und Substanzen, ... besonders auch der freien Wirtschaft.“¹
Just einen Tag später berichtet die Süddeutsche Zeitung auf der Titelseite über die neueste Segnung der freien Wirtschaft: Findige Profiteure nutzen die Angst der Menschen, um ihnen fragwürdige Schnelltests zu völlig überzogenem Preis von 30 Euro anzudrehen. Nutzen wir die Krise, um offen über die gesellschaftliche Debatte nach der Freiheit, die wir meinen, nämlich einer wirklich humanen Gesellschaft im echten Sozialismus ohne Ausbeutung von Mensch und Natur und das Ende der Freiheit der Profitmacherei zu diskutieren.