Leseprobe
Lenin als Arbeiterführer
Aus „Die Leninwerke – Geschichte eines bolschewistischen Betriebes“ von N. Pajalin, 1933
Seite 17-22:
Unweit der Newawerke befand sich ein Schule, bei den Arbeiten als Kornilowschule bekannt. Diese Schule wurde zu einer wahren Hochschule zur Heranbildung von klassenbewußten Arbeitern, und es herrschte ein Leben darin wie in einem Bienenstock. Die alten Arbeiter der Newafabrik gedenken dieser Schule mit ganz besonderer Liebe. Sie nannten sie das „Rote Haus“. In diesem Haus genossen sie Unterricht, der ihren politischen Horizont weiterte. Über diese Schule äußerten sich die Arbeiter folgendermaßen: „Das war ein Tempel der Wissenschaft für die Arbeiter der Newawerke.“ ... In dieser Schule unterrichtete N.K. Krupskaja. ... In dieser Schule besuchte auch W.I. Lenin die Krupskaja. ... So schrieb über Funtikow ein anderer bekannter Revolutionär, der Freund und Mitkämpfer Lenins, I.W. Babuschkin. ... In seiner Wohnung organisierte er den ersten sozialdemokratischen Zirkel für die Arbeiterschaft der Gegend am Newator. Bei der ersten Zusammenkunft dieses Zirkels fiel dem Leiter der Diskussion ein Arbeiter besonders auf, der sich durch große Leichthaftigkeit, Scharfsinn und Ungezwungenheit und dabei gleichzeitig durch Bescheidenheit auszeichnete. Das war Iwan Wassiljewitsch Babuschkin, der Lieblingsschüler Lenins.
Seite 19:
Liest man die Literatur über die revolutionäre Bewegung jeder Zeit, so stößt man überall auf den Namen Babuschkins. „Es gibt Volkshelden. Das sind Leute, die Babuschkin ähnlich sind“ - schrieb Lenin über ihn. Der Streik in den Newawerken gab das Signal für den Ausbruch von Streiks in anderen Petersburger Betrieben. Nach diesem Streik begannen die Sozialdemokraten eine neue Methode des revolutionären Kampfes anzuwenden, nämlich die Agitation durch Flugblätter, die anläßlich dieses oder jedes Ereignisses verfaßt wurden. Das erste derartige Flugblatt wurde von W.I. Lenin für die Semjannikow-Arbeiter verfaßt und durch Babuschkin in der Fabrik verbreitet. ... Solche Flugblätter wurden vom „Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse“ herausgegeben, dessen Kerntruppe sich unter der Leitung Lenins im Herbst gebildet hatte.Dieser Bund spielte in der revolutionären Bewegung der neunziger Jahre eine ganz gewaltige Rolle. Seine Tätigkeit machte sich besonders starke gerade hinter dem Nevator bemerkbar. Das ist auch begreiflich, da die vom „Kampfbund zur Befreiung der Arbeiterklasse“ breit entfaltete Agitationsarbeit gerade auf der Schlüsselburger Landstraße und besonders unter der Belegschaft der Semjannikowwerke auf fruchtbaren Boden fiel. Die Flugblätter des Kampfbundes fanden dort großen Beifall. ... In dem Flugblatt hieß es: ... Genossen! Werfen wir mal einen Blick auf die Verhältnisse, unter denen wir arbeiten. In unserem Beruf zehn Stunden ununterbrochen zu arbeiten, ist furchtbar schwer. Sehen wir einmal zu, ob es unter uns viel gesunde, nicht ausgemergelte Arbeiter gibt. Man kann sie an den Fingern aufzählen. Die schwere Arbeit saugt uns das Mark aus den Knochen, wir arbeiten bis zu völligen Erschöpfung, nur um den Kapitalisten mehr Profite zu verschaffen.“
Seite 25:
Diese Vorgänge hatten zur Folge, daß in fast sämtlichen Petersburger Betrieben der Streik proklamiert wurde. Die Arbeiter der Semjannikowwerke stellten an die Betriebsdirektion eine Reihe von Forderungen: 1. jede Fabrikabteilung hat das Recht Vertrauensmänner zu wählen, 2. Verkürzung der Arbeitszeit um eine Stunde, 3. Abschaffung der Geldstrafen für Verspätungen bis zu zehn Minuten am Morgen und nach der Mittagspause, 4. die Geldstrafe darf nicht einen Rubel pro Tag betragen, sondern muß dem Tageslohn entsprechen, 5. die Betriebskantine ist den Arbeitern übergeben, 6. der Belegschaft ist zu gestatten, eine eigene Arbeiterhilfskasse zubesitzen usw.
Seite 31-33:
In den Arbeitervierteln leiteten die Bolschewiki die Streikbewegung. Die Arbeiter unterstellten sich gern ihrer Führung, da sie sich davon überzeugt hatten, daß die Bolschewiki recht gehabt hatten, als sie ihnen vor dem 9. Januar klarzumachen versuchten, daß man der zaristischen Regierung nicht trauen dürfe. Seit dieser Zeit spielten die Arbeiter der Semjannikowwerke eine führende Rolle, weit über den Rahmen ihres Stadtbezirkes hinaus. Diese Rolle behaupteten sie bis zum Ende der Revolution1905. Sie wurden, wie sich die Zeitungen ausdrückten „Vorkämpfer, auf deren Stimme die Arbeiter der anderen Industriebetriebe hörten“.Wenn in einem Betrieb oder in einer Versammlung ein neuer Streik diskutiert wurde, war die erste Frage: „Und wir steht es in den Semjannikowwerken?“ „Dort streikt man...“ Dann streiken wir auch ...“ ... Wenn man die Ereignisse in den Semjannikowwerken auf Grund der vorliegenden Dokumenteanalysiert, so begreift man, warum die Semjannikow-Arbeiter die Aufmerksamkeit der Arbeiter der anderen Betriebe und der Polizei auf sich lenkten. Die Semjannikow-Arbeiter hatten verstanden, warum die Bolschewiki behaupteten, daß man nicht nur revolutionäre Agitation und Propaganda für den bewaffneten Aufstand machen dürfen, sondern daß man einen Aufstand organisieren müsse. Die Stärke der Semjannikow-Arbeiter, die hinter dem Newator indie ersten Reihen der revolutionären Massen gerückt waren, bestand eben darin, daß sie die Losung „organisiert euch“, für die W.I. Lenin immer eintrat, in die Tat umsetzten.Immer und überall, wo dies nur möglich war, zeichneten sich die Semjannikow-Arbeiter durch ihre Initiative aus. Sie waren es, die als erste die Satzungen des Metallarbeiterverbandes entwarfen, in denen der Kampfcharakter des Verbandes betont wurde. Dieser Verband führte eine intensive Arbeit durch, um die zersplitterten Reihen der Arbeiterschaft zusammenzuschließen und trug in hohem Grade zur Vertiefung ihres Klassenbewußtseins bei. ... Eine besondere Rolle bei der Bewegung des Jahres 1905 spielten die Obleute, die in jeder Werkabteilung gewählt wurden.
Seite 62/63:
Um das Jahr 1910 lasen die Semjannikow-Arbeiter gern die „Swesda“ und später im Jahre 1912 die „Prawda“. Die Zeitungen entwickelten ihr Klassengefühl, ermutigten sie bei der Aufstellung ihrer Forderungen und trugen zu ihrem organisierten Zusammenschluß bei. „Wir entbieten der Zeitung 'Prawda' unsere aufrichtigen Grüße, - schrieben die Semjannikow-Arbeiter, - möge die 'Prawda' die gepeinigten Arbeiter des großen Landes einem menschenwürdigen Dasein entgegenführen. Wir wünschen ihr Erfolg und gutes Gedeihen. Die Arbeiter von ganz Rußland müssen wie ein Mann die Arbeiterpresse und insbesondere die Zeitung 'Prawda' unterstützen. Schande über die Genossen, die trinken, um im Alkoholrausch die ganze Umgebung zu vergessen und keinen Versuch machen, ihr Leben durch würdigere Mittel zu verbessern. Durch Trinken wird das Leben nicht erträglicher. Die Trunksucht erzeugt
nur Elend und Armut und vermehrt die Zahl der Schänken. Schande auch über jene, die sich über jene, die sich um die Arbeitersache und die Arbeiterzeitungen nicht kümmern und nicht an die Verbesserung ihrer Lage denken. Wir spenden zugunsten der Zeitung 6,30 Rubel“. Auch einzelne Werksabteilungen sandten der „Prawda“ Grüße. So schrieben z.B. die Arbeiter der Kupferschmiede: „Wir klassenbewußten Arbeiter senden der Arbeiterzeitung 'Prawda' Grüße und spenden für sie 4,55 Rubel. Wir wünschen, daß sie fest auf ihrem ruhmreichen Posten steht und fernerhin die Arbeiter zum Zusammenschluß und zur Organisierung aufruft“. Die Kesselschmieder, die Lokomotivarbeiter, die Fräser, die Anstreicher und sonstigen Arbeiterder Fabrik übersandten ebenfalls heiße Grüße und Geldspenden zur Unterstützung ihrer Arbeiterzeitung.
Seite 75–77 (1917) :
Die Bolschewiki gaben die Losung der Verwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg aus. Am 14. Januar demonstrierten die Semjannikow-Arbeiter zusammen mit dem gesamten übrigen Proletariat Petrograds unter der Losung „Nieder mit dem Absolutismus“, „Nieder mit dem Krieg“, „Es lebe die Republik“. ... In den ersten Reihen des kämpfenden Proletariats standen die Semjannikow-Arbeiter, bei allen Massenaktionen der Arbeiterschaft schritten sie voran. Zusammen mit ihnen marschierten ihre Frauen und Kinder. Im Fabrikhof, wo sich die Arbeiter am 8. März (23 Februar) zum „Frauentag“, versammelt hatten, befanden sich Frauen, die zum entscheidenden Kampf gegen das zaristische Regime zusammen mit ihrem Männern und Brüdern bereit waren. Auf den roten Transparent der Semjannikow-Arbeiter waren an diesem Tage die Losungen zu lesen: „Nieder mit dem Krieg!“ „Nieder mit dem Absolutismus!“ Aus der Menge erschollen Rufe: „Gebt uns Brot!“ ... Nach dem Sturz Nikolaus II, wurde ein Arbeiterdeputiertenrat gewählt, und ein von den Arbeitern lang gehegter Traum, die Einführung des Achtstundentages, ging in Erfüllung. Nach der Februarrevolution setzten die Semjannikow-Arbeiter in den Werken sofort einen Betriebsrat ein. ... Am 12. März hörten die Semjannikow-Arbeiter in ihrer Versammlung mit gespannter Aufmerksamkeit das Referat eines Bolschewiki über das Thema „Der Krieg und unsere Stellung zu ihm“. Diese Versammlung faßte folgende Resolution:
„1. Der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten wird aufgefordert, sofort Maßnahmen zur Wiederherstellung der proletarischen Internationale zu ergreifen, um auf diese Weise dem Brudermord ein Ende zu machen. 2. Der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten wird auf gefordert, von der Provisorischen Regierung sofort die offene Erklärung zu verlangen, daß das russische Volk den Krieg durch einen Friedensschluß ohne Annexionen und ohne Kontributionen beenden will.3. Der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten wird aufgefordert, sofort unter den Truppen die Propaganda für unsere Friedensforderungen zu entfalten, mit dem Ziel der revolutionären Organisierung der Armee und einer revolutionären Beeinflussung der deutsch-österreichischen Armee und das deutsche und österreichische Volk auf unseren Aufruf mit einer revolutionären Aktion reagieren.“Seite 80:In den Semjannikowwerken bestand eine festgefügte, starke bolschewistische Organisation. Sie führte unter der Arbeiterschaft die bolschewistische Linie durch. Die bolschewistischen Arbeiter kämpften erbittert gegen jegliche Verständigungspolitik der kleinbürgerlichen Parteien und traten in allen Versammlungen und Kundgebungen offen gegen diese Parteien auf.Während die Chauvinisten und Patrioten die Arbeiter zur Fortsetzung des imperialistischen Gemetzels anstachelten, bewaffnete sich die Arbeiterschaft unbemerkt in den Betrieben. Unter dem Getöse der Maschinen und dem Wetterleuchten der Revolution wurde in den Semjannikowwerken ebenso wie in den anderen Betrieben eine Arbeitermiliz geschaffen, die den Grundstein zur Roten Garde bildete. Ihre rasche Organisierung in den Betrieben ist dem Einfluß der Bolschewiki zuzuschreiben.
Seite 81:
In ihrer Resolution stellten die Semjannikow-Arbeiter folgende Forderungen auf: „Durch den Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten wird von der Provisorischen Regierung folgendes verlangt: 1. Freilassung aller verhafteten Bolschewiki und Internationalisten, die am 3. und 5. Juli verhaftet wurden, oder die Erhebung einer Anklage dieselben, 2. Bewaffnung der Arbeiter der Newawerke zur Organisierung einer Roten Garde; 3. hält die Versammlung den gegenwärtigen Augenblick für kritisch und erachtet daher für notwendig, die Diktatur des Proletariats und ärmsten Schichten der Bauernschaft zu errichten. Eine Verständigung mit der Bourgeoisie ist im gegenwärtigen Augenblick unzulässig.“ Man begann sofort Arbeiterkollonen zu formieren. Als der Morgen graute, rückten die neuorganisierten Arbeiterkolonnen ins Feld zum Schutz Petrograds, gegen die Banden des Generals Kornilow.
Seite 91-93 (nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg):
Die ganze Schüsselburger Landstraße wurde umgebaut. Sie wurde mit Daibas gedeckt und ein gepflasteter Bürgersteig angelegt. Die Abflußgräben sind verschwunden. Kanalisations- und Wasserleitungsrohe laufen unterirdisch. Die ganze Straße wird elektrisch beleuchtet. Die verfallenen Wohnhäuser der Arbeiter werden abgebrochen. An ihrer Stelle baut man Steinhäuser, die mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet sind. Die Kirche der „Leidenden Mutter Gottes“ ist nicht mehr der Mittelpunkt der Landstraße, sie steht verödet da, dafür gibt es hier modern eingerichtete Kultur- und Bildungsheime. In den Semjannikowwerken besteht ein gut ausgestatteter Klub unter dem Namen „Wolodarski-Metallarbeiter“. Für seinen Bau wurden etwa 300.000 Rubel aufgewandt. Hier findet der Arbeiter Erholung. Es gibt eine vorzügliche Bühne. ... Eine gut ausgestattete Bibliothek von etwa 15.000 Bänden ist vorhanden. ... Häufig werden im Klub sogenannte „Abteilungsabende“ veranstaltet. Die Eisengießer veranstalten eine Abendunterhaltung für die Stahlgießer, die Schlosser der 1. mechanischen Abteilung einen Abend für die Schlosser der 2. mechanischen Abteilung usw. An diesen Abenden wird gewöhnlich ein Theaterstück aufgeführt, ein guter Film gezeigt oder ein Ingenieur hält einen Vortrag über eine Fachfrage. ... Eine Kulturrevolution spielt sich jetzt auf der gesamten Schlüsselburger Landstraße ab und fegt bei ihrem Vormarsch alles aus dem Weg, was früher dem Kulturfortschritt des Arbeiters hinderlich war. ... Der ehemalige Großbetrieb am Newator gehört heute wieder zu den größten Betrieben des Landes. Gegenwärtig besitzen die Leninwerke eine Belegschaft von 7000 Mann, von den 1600 Kommunisten sind, und stellen somit eines der gewaltigsten Industriewerke der ganzen Sowjetunion dar. In diesem Werke begann man Maschinen zu bauen, die bis dahin aus dem Ausland nach Rußland eingeführt wurden. ... In den Werken wurde auch zum ersten Mal in unserer Union eine Maschine für die Herstellung von Briketts aus Nadelholz gebaut. Diese Maschine dient dazu, aus Abfällen von Nadelhölzern: Rinde, Zweigen, Zapfen, Nadeln usw., Briketts herzustellen. Sie vermag gutes billiges Heizmaterial in einer Menge von einer halben Million Zentner jährlich zu liefern, das einen hohen Heizwert hat.
Seite 93/94:
Die Arbeitsproduktivität steigt mit jedem Jahr
Monatsverdienst Zunahme in % Monatsleistung Produkt. in %
1925/26 96,97 100,0 153,2 100
1926/27 106,37 110,5 226,41 148
1927/28 112,59 117,0 318,2 208
1928/29 121,47 126,0 346,41 226
1929/30 159,66 135,0 472,53 308
Seite 95: Die schöpferische Kraft der Arbeiter kennt auch auf dem Gebiet der Technik keine Grenzen. Im Büro für Arbeitererfindungen häufen sich neue Vorschläge und Arbeitererfindungen.