Krise der Großen Koalition
Einigung zur Grundrente - ein Tropfen auf den heißen Stein
In langwierigen Verhandlungen haben sich die Unionsparteien mit der SPD nun auf einen Kompromiss zur Frage der Grundrente geeinigt. Die kommisarische SPD-Vorsitzende Malu Dreyer sprach von einem "sozialpolitischen Meilenstein". Die Parteienkrisen von CDU und SPD sind damit keineswegs überwunden.
Angesichts der empörenden Tatsache, dass immer mehr Menschen trotz lebenslanger Arbeit im Alter in die Grundsicherung auf Hartz-IV-Niveau fallen oder nur eine minimale Rente darüber erhalten, ist das ein überfälliger Schritt. Allerdings kommt er nur einem Teil der Betroffenen zugute. Was beschlossen wurde, ändert nichts an der wachsenden Altersarmut der Menschen, die aus verschiedensten - oft gesellschaftlich bedingten Gründen - nicht auf 35 Rentenbeitragsjahre kommen.
Die Grundrente sollen alle Rentner erhalten, die 35 Jahre lang Beiträge gezahlt, aufgrund niedrigem Einkommen im Durchschnitt aber weniger als 0,8 Rentenpunkte (Entgeltpunkte)1 pro Jahr für die Rente gesammelt haben. Die Höhe der Grundrente ist davon abhängig, wie hoch die persönlichen durchschnittlichen Entgeltpunkte sind.
Minijobber gehen leer aus
Wer weniger als 0,3 Punkte erreicht hat, fällt aus dem Raster. Das betrifft Menschen, die weniger als 30 Prozent des Durchschnitteinkommens in Deutschland verdient haben, zum Beispiel in Mini- und Teilzeitjobs oder mit Niedriglöhnen unter Mindestlohnniveau. Für diejenigen, die die 35 Beitragsjahre knapp verfehlen, soll es eine "Gleitzone" geben, deren Details noch ausgearbeitet werden. Zusätzlich sollen diejenigen Rentnerinnen und Rentner, die auf noch weniger Beitragsjahre kommen und weiterhin in der Grundsicherung bleiben, etwas mehr als bisher von der eigenen Rente behalten können.
An Stelle einer Bedürftigkeitsprüfung, wie sie noch im Koalitionsvertrag vorgesehen war, setzt die Regierung nun auf eine Einkommensprüfung per Datenaustausch zwischen der Rentenversicherung und den Finanzbehörden. Andernfalls könnte auch jemand mit hohen Nebeneinkünften aus Vermögen oder Mieteinnahmen Grundrente erhalten. Die SPD war in ihrem Gesetzesvorschlag aufgrund des Drucks ihrer Massenbasis von der Bedürftigkeitsprüfung abgerückt, da diese wiederum entwürdigende und bürokratische Einkommensnachweise erforderlich gemacht hätte. Die jetzige Einigung sieht vor, dass über einem Gesamteinkommen von 1.250 Euro als Einzelperson oder 1.950 Euro als Paar keine Berechtigung zur Grundrente mehr besteht.
Mehr als doppelt so viele Menschen jetzt schon in Altersarmut
Damit könnten laut offiziellen Berechnungen ab Beginn der Auszahlung am 1.1.2021 zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Menschen eine Grundrente erhalten. Schätzungen gehen allerdings davon aus, dass schon jetzt rund drei Millionen Menschen von Altersarmut betroffen sind. Das geht aus dem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands hervor, der als Armutsgrenze 60 Prozent des Medianeinkommens2 angesetzt hat. Betroffen sind vor allem Frauen, die in schlecht bezahlten Berufen wie Krankenschwester, Pflegekraft oder Friseurin gearbeitet haben.
500.000 Menschen sind derzeit auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Es gibt jedoch Schätzungen, dass bis zu zwei Drittel der Anspruchsberechtigten diese gar nicht beantragen. Mit 1,4 Millionen verdienen sich derzeit in Deutschland mehr Rentner als jemals zuvor etwas hinzu.
Offene Regierungskrise in dieser Frage notdürftig gekittet
Die Grundrente ist zweifellos ein Zugeständnis an die Kritik und Empörung über die wachsende Altersarmut - gerade von Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Mit diesem Versuch, "Handlungsfähigkeit" zu beweisen, konnte eine offene Regierungskrise zumindest in dieser Frage notdürftig vermieden werden. Die offenen Parteienkrisen der CDU und SPD sind damit aber längst nicht überwunden. Die Einigung zwischen den beiden Parteien verschärft nämlich die Widersprüche in den beiden Parteien und diese werden die anstehenden Parteitage von SPD und CDU zusätzlich befeuern.
Zumal auch von Seiten der Konzernzentralen und Unternehmerverbände die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition zunimmt. Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hatte erst am letzten Wochenende die CDU aufgefordert, den ausgehandelten Kompromiss abzulehnen.
Milliardengeschenk an die Monopole
Statt sozialer Zugeständnisse zur Rettung der Massenbasis der Regierungsparteien und insbesondere der SPD fordern die Unternehmerverbände angesichts des Übergangs zur Weltwirtschaftskrise Steuersenkungen für Unternehmer, absatzfördernde Maßnahmen, flexiblere und erweiterte Kurzarbeiterregelungen und verstärkte staatliche Investitionen in die Infrastruktur. Ihnen geht selbst das minimale Zugeständnis der Grundrente viel zu weit.
Ganz im Sinne des Forderungspakets der Unternehmerverbände hat die Regierung parallel zur Grundrente eine zunächst bis Ende 2022 befristete Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 2,4 Prozent beschlossen. Ein Milliardengeschenk zur Erhöhung der Konzernprofite.
"Respekt für die Lebensleistung"?
Wenn die Regierungsparteien die Grundrente jetzt mit dem "Respekt für die Lebensleistung arbeitender Menschen" verkaufen, ist das schon fast unverfroren angesichts ihrer seit Jahrzehnten betriebenen unsozialen Politik der Ausdehnung von Niedriglöhnen und der systematischen Rentenkürzung - erst durch den Riesterfaktor und den Nachhaltigkeitsfaktor und schließlich durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67.
Der Hauptgrund für die wachsende Altersarmut ist der mit den Hartz-Gesetzen der Schröder/Fischer-Regierung sprunghaft ausgedehnte Niedriglohnsektor. Laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen liegt der Anteil der Niedriglöhner derzeit bei 22,7 Prozent aller Beschäftigten - einer der höchsten Werte in der EU, übertroffen nur von wenigen osteuropäischen Staaten. 9,4 Millionen - 40 Prozent aller abhängig Beschäftigten - waren 2018 in Teilzeitjobs beschäftigt. Rund 1,1 Millionen Menschen sind zusätzlich zu ihren Niedriglöhnen auf Hartz IV angewiesen.
Immer mehr Niedriglöhne bedeuten nichts anderes als wachsende Überausbeutung der Arbeiterklasse. So sank der Anteil der Rentenausgaben am Bruttosozialprodukt von 10,5 Prozent im Jahr 2000 auf nur noch 8,9 Prozent 2018. Eine gewaltige Umverteilung des Nationaleinkommens zu Lasten der breiten Massen. Nicht der "Respekt" vor ihrer Lebensleistung ist das Motiv dieser Regierung, sondern ihre systematische Ausplünderung im Interesse der Monopole.
MLPD: Klare Kante in der Sozial- und Rentenpolitik
Die MLPD steht dagegen konsequent auf der Seite der Arbeiterinnen und Arbeiter. Keine andere Partei vertritt solch klare und offensive sozial- wie rentenpolitische Forderungen. Sie ist die einzige Partei, die die volle Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch eine umsatzbezogene Unternehmenssteuer von gegenwärtig etwa 8 Prozent fordert. Renten sind Lohnbestandteile, deshalb sollen sie die Kapitalisten zu 100 Prozent zahlen.
Die MLPD befürwortet, dass Riester- und Nachhaltigkeitsfaktors bei der Berechnung des Rentenwerts abgeschafft werden. Das Rentenniveau muss auf 70 Prozent des Nettoverdienstes angehoben und die Besteuerung von Rentenbezügen abgeschafft werden. Überfällig sind einheitliche Renten auf Westniveau in Ost und West! Statt das Rentenalter noch weiter anzuheben, muss es auf 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen sowie für Schicht- und Schwerarbeiter herabgesetzt werden – und zwar bei vollem Rentenausgleich!
Gegen die Zunahme von Niedriglöhnen müssen höhere Löhne und Gehälter einheitlich in Ost und West erkämpft werden. Zur Finanzierung der Grundrente muss die sogenannte Beitragsbemessungsgrenze (6.700 Euro pro Monat in Westdeutschland und 6.150 Euro in Ostdeutschland) angehoben werden. Über diese Grenze hinaus zahlen die Reichen nämlich gar nicht mehr ein. So könnte die Rentenkasse zusätzliche Milliarden Euro einnehmen (mehr dazu).