Sexistische Gewalttat
„Es wurde nicht genügend getan, um sie zu schützen“
Aus einem „traurigen Anlass“ - wie sie selber sagte - hatte Monika Gärtner-Engel, Stadtverordnete des überparteilichen Kommunalwahlbündnisses AUF Gelsenkirchen, zu einer Pressekonferenz am heutigen 26. Juni auf den Parkplatz vor dem Kultursaal Horster Mitte eingeladen.
Die Pressekonferenz stand unter dem Motto "Brutale sexistische Gewalt gegen Gelsenkirchenerin - Versäumnisse von Behörden und Polizei?" Am vergangenen Samstag, 22. Juni, wurde eine 32-jährige Frau in Gelsenkirchen-Buer von einem Mann mit 20 Messerstichen lebensgefährlich verletzt. Der Mann hatte sie vorher jahrelang gestalkt und belästigt. Die Frau schwebt mittlerweile nicht mehr in Lebensgefahr. Der Täter wurde festgenommen.
Dazu Monika Gärtner-Engel, die die Pressekonferenz mit den Rechtsanwälten des Opfers, Peter Weispfenning und Frank Jasenski, leitete: „Wir haben uns jetzt eingeschaltet, nachdem die Geschädigte sich schon vorher an mich als Stadtverordnete gewendet hat. Hier ist auch ein persönliches Vertrauensverhältnis entstanden. Sie möchte ausdrücklich - weil es aus ihrer Sicht nicht nur um sie selber geht, sondern um ein allgemeines Problem der Gewalt an Frauen - unbedingt, dass wir darüber offen sprechen, was hier passiert ist und wie das Ganze zu beurteilen ist“.
Keine Einzige mehr darf Opfer von solchen Gewalttaten werden
Monika Gärtner-Engel
Weiter erklärte Monika Gärtner-Engel: „Ich habe vor Jahren mit 200.000 Frauen in Argentinien unter dem Motto 'Ni una más' - also 'Keine einzige mehr', gegen Gewalt an Frauen demonstriert. Dieses Motto sollten wir uns auch hier zur Leitlinie machen: Keine einzige mehr darf Opfer von solchen Gewalttaten werden. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass die ganze Sache nicht ernst genommen wurde, dass ihr nicht genügend Schutz gegeben wurde, dass hier wesentlich mehr möglich gewesen wäre. Das sind Thesen, die wir ihnen genau darlegen und untermauern möchten.“
Im Laufe der Pressekonferenz wurde deutlich, dass die Gefahr für das Opfer über Jahre hinweg heruntergespielt und chronisch nicht ernst genommen wurde. Das wirft ein Schlaglicht darauf, dass Gewalt an Frauen in dieser Gesellschaft ("Normalität") strukturell verwurzelt ist. Sie ist eine Widerspiegelung der besonderen Unterdrückung der Frau über Jahrtausende. Deshalb muss ein einzelner Kampf unter diesem weiten Blickwinkel geführt werden.
Monika Gärtner-Engel ist zusammen mit Stefan Engel Autorin des Buchs "Neue Perspektiven für den Kampf um die Befreiung der Frau" - ein Buch, das die Pressekonferenz begleitete.
Rechtsanwalt Peter Weispfenning schildert das Geschehen
Rechtsanwalt Peter Weispfenning, der die Geschädigte mittlerweile im Krankenhaus besucht hatte, schilderte den genauen Tathergang: „Ich möchte vorausschicken, dass wir entschiedene Kritiken haben, die ich jetzt unjuristisch als Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung bezeichnen möchte. Diese Kritiken richten sich sowohl an die Polizei als auch an die Staatsanwaltschaft und die Gerichte.“
Er berichtete, wie der Beschuldigte, nachdem er einen Tag vorher via Whats App und Facebook Morddrohungen gegen das Opfer verschickt hatte, diesem am 22. Juni durch die Geste des „Halsdurchschneidens“ androhte, was er vorhat. Er schilderte weiter, wie die bereits beim ersten Auftauchen des Täters gerufene Polizei nichts anderes getan hat, als diesem einen Platzverweis zu erteilen, den sie im Anschluss nicht mehr kontrollierte. Stattdessen fuhren die Polizisten weg, obwohl das spätere Opfer ihnen klar gesagt hatte, dass ihr Leben in Gefahr ist.
Es handelt sich um einen Mordversuch
Peter Weispfenning weiter: „Direkt danach – nur wenige Minuten später – hat der Beschuldigte dann diesen Mordversuch begangen. Es handelte sich dabei um einen Mordversuch aus frauenfeindlichen und sexistischen Motiven. Er hat die Geschädigte mit seiner Messerattacke lebensgefährlich verletzt. Das hätte verhindert werden müssen, wenn der Täter vorher durch die Polizei durchsucht worden wäre. Sie hätte zumindest kontrollieren müssen, ob der Platzverweis durch den Beschuldigten auch umgesetzt wird.
Das ist ein grob fahrlässiges Verhalten und ich protestiere dagegen, wenn die Staatsanwaltschaft gestern im WDR-Fernsehen sagt, dass man da nichts machen könne. Es gab hier viele Möglichkeiten, um einzuschreiten, und das wäre dringend geboten gewesen. Diese Tat war verhinderbar und die Geschädigte hat auch alles dafür getan, dass es verhindert wird.
Sie hat mir noch im Krankenhaus gesagt: 'Wir leben in Deutschland. Ich habe mich überall beschwert. Ich habe mich an alle gewendet. Es ist nichts passiert.' Das ist ihre tieftraurige Bilanz. Man hat ihr nicht geholfen. Und dieser Vorwurf ist leider in Bezug auf die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte zutreffend. Es gibt auch einige Legendenbildung. In einer Zeitung stand, dass die Kinder dabei gewesen wären. Das ist so nicht zutreffend.“
Klima der Geringschätzung der Frau
Dieser Mordversuch aus frauenfeindlichen und sexistischen Motiven geschah in einem Klima der Geringschätzung der Frau. Sie ist Ausdruck der doppelten Ausbeutung und Unterdrückung der Masse der Frauen im Kapitalismus und ihrer Widerspiegelung unter Teilen der Massen mit niedrigem Klassenbewusstsein.
Dazu schreiben Monika Gärtner-Engel und Stefan Engel in ihrem Buch: "Die Erniedrigung und Unterwerfung der Frauen zum Objekt männlicher Lust und Bestätigung männlicher Stärke und Überlegenheit wird in Videos, Filmen oder Zeitschriften zur Normalität ... So wirkt die Unterdrückung der Frauen bis hinein in das Verhalten in Beziehungen und Familien, spiegelt sich in Gewalt, (sexueller) Ausbeutung der Frauen und Kinder wider."¹
Stalking, das war eine klare Aussage der Pressekonferenz, ist genau ein solcher Ausdruck der Geringschätzung der Frau und ein absolutes "No Go". Dafür gibt es keine Entschuldigung und es muss hart bestraft werden.
Das war eine geplante und von langer Hand vorbereitete Mordattacke
Rechtsanwalt Frank Jasenski
Peter Weispfennings Kollege Frank Jasenski führte weiter aus: „Die Geschädigte hat sich vor ungefähr zwei Wochen an uns gewandt hat, weil sie den Eindruck hatte, dass in ihrer Sache nicht das Erforderliche getan worden ist, um sie zu schützen. Zunächst zu dieser Messerattacke vom letzten Samstag: wir wissen, dass der Täter in der Zwischenzeit in Untersuchungshaft sitzt. Die Staatsanwaltschaft erklärt, dass wegen eines versuchten Tötungsdelikts gegen ihn ermittelt wird.
So wie wir die Sache einschätzen - also die Dauer der Nachstellungen durch ihn; die Massivität dieser Bedrohung durch ihn, auch in Form von jahrelangen sexistischen Kommentaren in sogenannten sozialen Medien; Bedrohungen durch ihn; Todesdrohungen durch ihn - wenn man diese Vorgeschichte sieht, kann man nicht davon ausgehen, dass das, was am letzten Samstag geschehen ist, eine spontane Tat gewesen ist.
Das war eine geplante und von langer Hand vorbereitete Mordattacke auf die Geschädigte, die über das hinausgeht, was im Gesetz unter dem Tatbestand des Totschlags gefasst wird. Hier liegen die entsprechenden Mordmerkmale vor, so dass es unser Bestreben sein wird, bei der Staatsanwaltschaft Essen aufgrund der vorliegenden Indizien eine Anklage wegen versuchten Mordes zu erreichen.“
Im weiteren kritisierte Frank Jasenski das Vorgehen der Polizei in diesem Fall. Das Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen gibt längst die Möglichkeit der Durchsuchung von Verdächtigen nach Waffen. Diese Praxis wird auch regelmäßig bei linken Demonstranten, Menschen afrikanischer und arabischer Herkunft etc. angewandt. Im aktuellen Fall hat die Polizei darauf verzichtet, obwohl der Täter die Waffe dabei oder zumindest in der Nähe hatte. Außerdem hatte die Frau ihren Stalker bereits mehrfach angezeigt: Drei dieser Fälle laufen jetzt seit über einem Jahr, ohne dass die Staatsanwaltschaft Essen effektiv etwas getan hätte.
Jahrelanges Martyrium des Opfers
Ein Kollege der Frau, der mit ihr zusammen als Trainer in einem Sportverein in Gelsenkirchen-Horst aktiv ist, schilderte das Martyrium, dass sie über Jahre hinweg durchmachen musste: mit Wohnungswechsel wegen des sie verfolgenden Täters, dem psychischen Druck und der objektiven Tatsache, dass der Täter alle gerichtlichen Auflagen ignorierte, seitens der Staatsanwaltschaft aber nichts entscheidendes unternommen wurde. Monika Gärtner-Engel abschließend: „Sie ist ein fröhlicher und lebenslustiger Mensch und wir wissen nicht, ob sie das je wieder wird ...“
Die MLPD und auch der Frauenverband Courage, dessen Mitglied und Redakteurin Brigitte Wiesemann ebenfalls aktiv an der Pressekonferenz teilnahm, kämpfen seit Jahrzehnten für die Befreiung der Masse der Frauen von ihrer heute systemimmanenten besonderen Ausbeutung und Unterdrückung. Unter anderem ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass das "Stalking-Gesetz" verschärft werden musste und die Devise "Nein heißt Nein" sogar juristisch anerkannt wurde. Courage wird in dieser Sache weiter aktiv werden und sich und den Kampf gegen Gewalt an Frauen stärken.